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Schatten über Sanssouci

Schatten über Sanssouci

Titel: Schatten über Sanssouci
Autoren: O Buslau
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Deserteur«,
sagte der Offizier zu seinem Kameraden, der bei einer fahlen Lampe am Tisch
saß, das Wachbuch vor sich. Das Gewehr lehnte gleich neben dem Stuhl.
    »Er heißt Andreas
Freiberger«, sagte der Soldat.
    »Na, wenn ihn alle
kennen, dann wisst ihr ja auch, was mit ihm zu tun ist.«
    Andreas streckte
sich auf der Bank aus. Die vier Mauern des Wachgebäudes sorgten für Sicherheit.
So lag er da, die Augen zur Decke gerichtet, und wartete auf den Morgen.

2
    In den
warmen Monaten begann in Potsdam jeder neue Tag mit dem großen Wecken in der
Morgendämmerung. Wenn das Licht so hell war, dass der wachhabende Offizier mit
bloßem Auge einen Befehl lesen konnte, ging es los. Trommeln, Militärpfeifen
und lautes Gebrüll rissen Bürger und Soldaten aus dem Schlaf. Innerhalb von
Minuten strömten Tausende von blau, gelb und weiß gekleideten Gemeinen und
höherer Dienstgrade durch die schnurgeraden Straßen. Um Punkt fünf Uhr hatten
sie an ihren Appellplätzen zu stehen, um ihren Dienst zu beginnen. Wer zu spät
kam, musste mit Prügeln oder sogar mit dem gefürchteten Spießrutenlaufen
rechnen.
    Zivilisten hätten in
diesem Geschiebe und Gerenne nur im Weg herumgestanden, weshalb man am Morgen
den Uniformierten den Vortritt ließ. Wenn man es nicht vermeiden konnte, auf
der Straße unterwegs zu sein, quetschte man sich vorsichtig an den Häuserzeilen
entlang – immer darauf gefasst, dass die nächste Tür aufflog und Rennende einen
Grenadiere in voller Montur zur Seite stießen.
    Quantz konnte sich
an diesen morgendlichen Lärm, der Tag für Tag mit der Unbarmherzigkeit eines
Erdbebens die Stadt heimsuchte, auch nach Jahren in Potsdam nicht gewöhnen. Er
fuhr aus dem ersten tiefen Schlaf, drehte sich auf den Bauch, schob sich sein Kissen
über die Ohren – vergeblich. Ihn störte nicht nur der Krawall der Soldaten
unten in seinem Haus und auf der Straße. Das rasselnde Getrommel und das
Gequäke der militärischen Oboisten bereiteten ihm Höllenqualen. Nach einer
Stunde, gegen sechs Uhr, wenn der erste Sturm vorbei war, fand er gewöhnlich
noch etwas Schlaf. Mit etwas Glück machten die aufscheuchenden Rhythmen des
Militärs in seinen Träumen einer anderen Musik Platz – einem der königlichen
Konzerte etwa, das sich inmitten des Spektakels wie eine liebliche Rose in
einer Wüste ausnahm.
    Er erhob sich gegen
elf, streckte seinen schmerzenden Rücken und öffnete das Fenster. Ein Schwall
der lauen Mailuft kam ihm entgegen.
    Jetzt war es wieder
stiller in der Stadt. Nur von Ferne wehte der rasselnde Klang von Trommeln
herüber. Dazwischen waren markante Rufe zu erahnen. Unten am Stadtschloss hatte
die tägliche Parade begonnen, die der König gewöhnlich persönlich abnahm.
    Es klopfte an der
Tür.
    »Komm herein,
Sophie«, sagte Quantz.
    Die Dienstmagd trug
ein Tablett in der Hand, auf dem sich eine kleine Kaffeekanne und ein Teller
mit etwas Gebäck befanden. Diese Art des Frühstücks hatte sich Quantz in seiner
Zeit in Paris angewöhnt. Sie belastete den Magen nicht so sehr wie das in
Preußen verbreitete morgendliche Suppenfrühstück aus Milch oder zerstampften
Kartoffeln.
    »Was gibt es
heute?«, fragte er, obwohl er es wusste, und setzte sich. Es gefiel ihm, dass
Sophie nicht nur einfach eine Haushälterin war, sondern auch Anteil an seiner
Arbeit hatte und dass sie sich für das interessierte, was er tat. Dass sie sich
gelegentlich sogar seine Kompositionen anhörte, bevor er sie dem König
vorstellte. Natürlich war sie ein ungebildetes Frauenzimmer und verstand nicht
das Geringste von Musik. Nicht im fachlichen Sinne. Aber sie hatte einen
sicheren Geschmack. Denn sie besaß nicht nur Verstand, sondern auch Herz.
    »Am Nachmittag
kommen Herr Graun, Herr Benda, Herr Engke, Herr Mara und Herr Bach. Danach
haben Sie Konzert beim König. Und hier ist noch etwas. Ein Brief von Ihrer
Frau.«
    Sophie schob die
Untertasse zur Seite. Ein zusammengefaltetes und versiegeltes Papier wurde
sichtbar.
    Den Brief konnte er
vernachlässigen. Er ahnte, was darin stand. Anna hatte das Porto sicher wieder
hauptsächlich dafür aufgewendet, um ihn um mehr Geld zu bitten.
    »Ist die neue
Partitur beim Kopisten?«
    »Seit halb acht
heute Morgen.«
    Quantz nickte
zufrieden. Am frühen Nachmittag hatten sie also die abgeschriebenen
Einzelstimmen. Und es blieb noch genug Zeit für die Probe.
    Es war natürlich
unmöglich, ein Konzert im Schloss zu präsentieren, ohne das neue Stück
durchzugehen. Eine Probe war wichtig, damit
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