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Schatten ueber Innsmouth

Schatten ueber Innsmouth

Titel: Schatten ueber Innsmouth
Autoren: H. P. Lovecraft
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denen die Adern stark hervortraten, waren groß und von sehr ungewöhnlicher graublauer Farbe. Die Finger waren im Verhältnis zum übrigen Knochenbau der Hand auffallend kurz und hatten anscheinend die Neigung, sich in die riesige Handfläche zu krümmen. Während er auf den Bus zuging, fiel mir sein eigenartig watschelnder Gang auf, und ich sah, daß seine Füße unheimlich groß waren. Je länger ich sie anschaute, um so mehr wunderte ich mich, wie es ihm gelang, passende Schuhe zu finden.
    Außerdem war der Bursche irgendwie ein bißchen schmierig, was meine Abneigung noch vertiefte. Offenbar verbrachte er die meiste Zeit mit Arbeit oder Müßiggang an den Anlegestellen der Fischerboote und trug deshalb den charakteristischen Geruch mit sich herum. Was für eine Beimischung von fremdländischem Blut in seinen Adern floß, konnte ich nicht einmal vermuten. Seine eigenartigen Merkmale schienen weder asiatisch noch polynesisch, weder levantinisch noch negroid, und doch war mir klar, warum die Leute ihn sonderbar fanden. Ich selbst hätte eher an biologische Degeneration als fremdländische Abstammung gedacht.
    Mir kamen Bedenken, als ich sah, daß ich der einzige Passagier sein würde. Irgendwie konnte ich mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, daß ich mit diesem Fahrer allein auf die Reise gehen sollte. Doch als es Zeit wurde abzufahren, schob ich meine Befürchtungen beiseite, kletterte nach dem Mann in den Bus und hielt ihm eine Dollarnote hin, wobei ich das einzige Wort »Innsmouth« murmelte. Er sah mich eine Sekunde lang neugierig an, während er mir vierzig Cent Wechselgeld herausgab. Ich nahm mehrere Reihen hinter ihm Platz, doch auf derselben Seite, denn ich wollte während der Fahrt die Küste sehen.
    Schließlich fuhr das uralte Vehikel mit einem Ruck los und ratterte in einer Wolke
    von Auspuffgasen die State Street mit ihren alten Ziegelbauten entlang. Ich betrachtete die Leute auf den Bürgersteigen und glaubte zu bemerken, daß sie so taten, als sähen sie den Bus gar nicht. Dann bogen wir nach links in die High Street ab, wo der Bus sogleich besser vorankam; wie im Fluge huschten die stattlichen alten Herrenhäuser der frühen Republik und die noch älteren Bauernhäuser aus der Kolonialzeit vorbei, dann passierten wir Lower Green und den Parker-Fluß und fuhren schließlich in das offene Küstenland hinaus, das sich monoton vor uns ausbreitete. Es war ein warmer, sonniger Tag, aber die Landschaft aus Sand, Riedgras und verkümmertem Gebüsch wurde immer trostloser, je weiter wir in sie vordrangen. Durch das Fenster konnte ich das blaue Wasser und die sandige Linie der Insel Plum sehen, und gleich darauf kamen wir ganz nahe an die Küste heran, nachdem unsere schmale Straße von der Hauptstraße nach Rowley und Ipswich abgezweigt war. Es waren keine Häuser zu sehen, und der Zustand der Straße verriet, daß in dieser Gegend kaum Verkehr herrschte. Die kleinen, verwitterten Telegraphenstangen trugen nur zwei Drähte. Ab und zu überquerten wir auf plumpen Holzbrücken Flüsse, die nur bei Flut Wasser führten und sich weit ins Land hinein schlängelten, wodurch die Gegend noch zusätzlich von der Außenwelt abgeschnitten wurde.
    Hin und wieder gewahrte ich vertrocknete Baumstümpfe und zerbröckelnde Grundmauern, die aus dem Treibsand herausragten, und entsann mich der in einem der Geschichtsbücher zitierten Überlieferung, daß dies einmal ein fruchtbarer und dichtbesiedelter Landstrich gewesen sei. Die Wende, so hatte es dort geheißen, sei gleichzeitig mit der Epidemie von 1846 in Innsmouth gekommen, und bei einfachen Leuten sei der Glaube an einen dunklen Zusammenhang mit verborgenen bösen Mächten recht verbreitet. Der wirkliche Grund war die kurzsichtige Abholzung der Wälder an der Küste gewesen, durch die der Boden seines besten Schutzes vor Wind und Treibsand beraubt worden war.
    Schließlich verloren wir die Insel Plum aus den Augen, und zu unserer Linken erstreckte sich bis zum fernen Horizont der Atlantische Ozean. Unser schmaler Fahrweg begann jetzt anzusteigen, und ich empfand ein einzigartiges Gefühl der Beunruhigung, als ich vor uns den einsamen Kamm der Anhöhe erblickte, dort, wo die ausgefahrene Straße den Horizont berührte. Es war, als wolle der Bus immer weiter aufwärts fahren, die sichere Erde hinter sich lassen und in die unbekannten Geheimnisse der oberen Luftschichten und des kryptischen Himmels eintauchen. Der Geruch des Meeres weckte schlimme Vorahnungen, und der
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