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Schatten ueber Innsmouth

Schatten ueber Innsmouth

Titel: Schatten ueber Innsmouth
Autoren: H. P. Lovecraft
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die gute Frau mich hinausgeleitete, erklärte sie mir, daß die Theorie, die Marshes verdankten ihren Reichtum einem Piratenschatz, unter den intelligenten Leuten dieser Gegend recht verbreitet sei. Ihre eigene Einstellung zu dem geheimnisumwitterten Innsmouth, das sie nie gesehen hatte, war gekennzeichnet durch den Abscheu vor einem Gemeinwesen, das einem solchen sozialen Niedergang verfallen war, und sie versicherte mir, die Gerüchte über eine Teufelsanbetung fänden teilweise ihre Bestätigung in einem eigenartigen Geheimkult, der sich dort breitgemacht und alle orthodoxen Kirchen verdrängt habe.
    Dieser Kult, so sagte sie mir, werde »Der esoterische Orden von Dagon« genannt und sei zweifellos eine verderbte, beinahe heidnische Lehre, die vor einem Jahrhundert aus dem Osten eingeführt worden sei, zu einer Zeit also, als es schien, daß der Fischfang in Innsmouth sich bald nicht mehr auszahlen würde. Daß diese Lehre bei den einfachen Leuten so beliebt wurde, sei ganz natürlich, da die Fischer sich von da an wieder einer reichen Beute erfreuen konnten, und zwar bis zum heutigen Tage. Sie erlangte bald den stärksten Einfluß in der Stadt, verdrängte die Freimaurerei völlig und übernahm deren bisherigen Tempel auf dem Neuen Kirchplatz als Versammlungsort.
    Für die fromme Miss Tilton war all dies Grund genug, die alte Stadt des Verfalls und der Verlassenheit zu meiden, doch für mich stellte es nur einen neuen Anreiz dar. Zu meinen architektonischen und historischen Erwartungen gesellte sich jetzt noch anthropologischer Eifer; ich konnte in meinem kleinen Zimmer im »Y. M. C. A.« kaum schlafen und wünschte sehnlich den Tagesanbruch herbei.

    II

    Am nächsten Morgen stand ich kurz vor zehn Uhr mit meinem Köfferchen vor Hammonds Drugstore auf dem Alten Marktplatz und wartete auf den Bus nach Innsmouth. Als die Stunde der Ankunft näherrückte, bemerkte ich, wie die Müßiggänger sich langsam die Straße hinauf zu anderen Plätzen oder auf die andere Seite des Marktplatzes ins Ideal Lunch verzogen. Offensichtlich hatte der Beamte am Fahrkartenschalter die Abneigung der Einheimischen gegenüber Innsmouth und seinen Bewohnern nicht übertrieben. Einige Augenblicke später ratterte ein kleiner, äußerst klappriger Bus von schmutziggrauer Farbe die State Street entlang, wendete und hielt vor mir am Rand des Bürgersteigs. Ich spürte sofort, daß es der richtige war, eine Vermutung, die sogleich durch das halb unleserliche Schild ArkhamInnsmouth-Newburyportan der Windschutzscheibe bestätigt wurde.
    Es saßen nur drei Fahrgäste drin finstere, ungepflegte Kerle mit mürrischem Gesichtsausdruck und etwas jugendlichem Äußeren. Als das Fahrzeug hielt, kamen sie unbeholfen herausgewatschelt und gingen mit leisen, beinahe verstohlenen Bewegungen die State Street hinauf. Der Fahrer stieg ebenfalls aus, und ich beobachtete ihn, während er in den Drugstore ging, um etwas einzukaufen. Das, so überlegte ich, mußte der Joe Sargent sein, den der Mann am Fahrkartenschalter erwähnt hatte; und noch bevor ich irgendwelche Einzelheiten wahrnehmen konnte, stieg eine Welle des Abscheus in mir auf, die ich weder niederkämpfen noch erklären konnte. Plötzlich kam es mir ganz natürlich vor, daß die Einheimischen kein Verlangen hatten, mit dem Bus zu fahren, den ein solcher Mann besaß und lenkte, oder öfter als unbedingt nötig den Wohnort eines solchen Mannes und anderer seines Schlages zu besuchen.
    Als der Fahrer aus dem Laden kam, sah ich ihn mir genauer an und versuchte, hinter den Grund für meinen unangenehmen Eindruck zu kommen. Er war ein magerer Mann mit hängenden Schultern, fast sechs Fuß groß, in schäbigen blauen
    Zivilkleidern und mit einer verschlissenen Golfmütze auf dem Kopf. Er war vielleicht fünfunddreißig Jahre alt, aber die sonderbaren, tiefen Falten rechts und links an seinem Hals ließen ihn älter erscheinen, wenn man nicht sein stumpfes,
    ausdrucksloses Gesicht ansah. Er hatte einen schmalen Kopf, hervortretende, wäßrig-blaue Augen, die nie zu blinzeln schienen, eine flache Nase, eine fliehende Stirn und ein ebensolches Kinn, und auffallend unterentwickelte Ohren. Seine lange, dicke Oberlippe und die großporigen, grauen Wangen schienen fast bartlos, bis auf ein paar dürftige gelbe Härchen, die in vereinzelten krausen Büscheln
    hervorsproßten; und an manchen Stellen schien die Hautoberfläche sonderbar uneben, als schäle sie sich infolge irgendeiner Hautkrankheit. SeineHände, an
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