Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schatten ueber Innsmouth

Schatten ueber Innsmouth

Titel: Schatten ueber Innsmouth
Autoren: H. P. Lovecraft
Vom Netzwerk:
mißfielen, ohne daß ich sie näher definieren konnte. Eine Sekunde lang glaubte ich, dieser typische Körperbau erinnere mich an irgendein Bild, das ich unter besonders schrecklichen oder traurigen Umständen irgendwo, vielleicht in einem Buch, gesehen hatte; doch diese Schein-Erinnerung ging schnell wieder vorbei.
    Als der Bus den Talgrund erreicht hatte, vernahm ich immer deutlicher das gleichmäßige Rauschen eines Wasserfalls in der unnatürlichen Stille. Die
    windschiefen, ungetünchten Häuser standen näher beisammen, säumten zu beiden Seiten die Straße und wirkten städtischer als diejenigen, die wir hinter uns ließen. Das Panorama vor uns hatte sich zu einer Straßenszene verdichtet, und an manchen Stellen konnte man sehen, daß es dort früher einmal Kopfsteinpflaster und befestigte Bürgersteige gegeben haben mußte. Die Häuser waren offenbar alle verlassen, und hin und wieder gab es Lücken, in denen zusammengestürzte Kamine und
    Kellerwände die einzigen Überbleibsel der Häuser waren, die früher dort gestanden hatten. Geradezu allgegenwärtig aber war der ekelhafteste Fischgestank, den man sich vorstellen kann.
    Bald tauchten Straßenkreuzungen auf; die nach links abzweigenden Seitenstraßen führten in die küstennahen Bezirke ungepflasterten Schmutzes und Verfalls, während die auf der rechten Seite den Blick auf vergangene Größe freigaben. Bis jetzt hatte ich keinen Menschen in der Stadt gesehen, doch nun entdeckte ich erste Anzeichen dafür, daß sie nicht ganz unbewohnt war — hier und da Vorhänge hinter den Fenstern, und gelegentlich ein klappriges Auto am Straßenrand. Pflaster und Bürgersteige waren nach und nach immer besser erhalten und obwohl die meisten Häuser ziemlich alt waren Holzund massive Häuser aus dem frühen 19. Jahrhundert —, wurden sie offenbar doch bewohnbar gehalten. Als AmateurAltertumsforscher verlor ich meinen Abscheu vor dem widerwärtigen Geruch und das Gefühl der Bedrohung und des Widerwillens angesichts dieser reichen, unveränderten Zeugen der Vergangenheit.
    Doch bevor ich mein Ziel erreichte, hatte ich noch ein Erlebnis, das einen
    ausgesprochen unangenehmen Eindruck hinterließ. Der Bus war auf einem offenen, kreisförmigen Platz angekommen, mit je einer Kirche auf zwei Seiten und den verstaubten Überresten einer runden Grünfläche in der Mitte, und ich besah gerade eine große Säulenhalle an der rechts vor uns liegenden’ Abzweigung. Der ehemals weiße Anstrich des Gebäudes war jetzt grau und blätterte ab, und das schwarzgoldene Schild auf dem Giebelfeld war so verwaschen, daß ich nur mit Mühe die Worte »Esoterischer Orden von Dagon« entziffern konnte. Das also war der einstige Freimaurer-Tempel, den der degenerierte Kult übernommen hatte. Während ich noch damit beschäftigt war, die Inschrift zu entziffern, wurde meine Aufmerksamkeit durch die rauhen Töne einer gesprungenen Glocke auf der anderen Seite abgelenkt, und ich wandte mich schnell um und schaute auf meiner Seite aus dem Fenster.Das Geräusch kam aus einer Steinkirche mit einem gedrungenen Turm, die offenbar wesentlich jüngeren Datums war als die meisten Häuser; sie war in plumpem gotischem Stil erbaut und hatte ein unverhältnismäßig hohes Kellergeschoß, dessen Fenster mit Läden verschlossen waren. Obwohl auf der Seite, die ich sah, die Zeiger der Turmuhr fehlten, wußte ich, daß diese heiseren Töne die elfte Stunde schlugen. Dann wurde plötzlich jeder Gedanke an die Uhrzeit durch ein Trugbild von scharfer Intensität und unerklärlicher Schrecklichkeit verdrängt, das über mich hereinbrach, bevor ich überhaupt wußte, was es war. Die Kellertür der Kirche stand offen und gab den Blick auf ein schwarzes Rechteck im Inneren frei. Und während ich hinschaute, schien mir, daß ein Objekt durch dieses Rechteck huschte; und dieser Anblick schien mir einen Moment lang der Inbegriff alptraumhaften Schreckens, was mich um so mehr verwirrte, als ich bei nüchterner Analyse keine einzige alptraumhafte Eigenschaft daran feststellen konnte.
    Es war ein Lebewesen — außer dem Fahrer das einzige, das ich bisher in der Innenstadt gesehen hatte -, und wäre ich nicht in einer so überreizten Stimmung gewesen, so hätte ich überhaupt nichts Schreckliches darin entdeckt. Offenbar war es der Pastor, wie mir schon im nächsten Augenblick klar wurde; gekleidet in irgendwelche eigentümlichen Gewänder, die man zweifellos eingeführt hatte, als der Orden von Dagon die Riten für die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher