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Raecher des Herzens

Titel: Raecher des Herzens
Autoren: Jennifer Blake
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New Orleans, Louisiana Februar 1840
Erstes Kapitel
    Eine Dame möchte Sie sprechen, Monsieur Rio.«
    Rio de Silva saß mit geschlossenen Augen in einem Ohrensessel, einen Fuß über die verlöschende Glut des Kaminfeuers gestreckt. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Stiefel auszuziehen. In der Hand hielt er einen Cognacschwenker. Rio de Silva rührte sich nicht.
    »Verleugne mich«, sagte er schließlich in einem Tonfall, der keinen Zweifel daran ließ, wie wenig er Störungen dieser Art schätzte.
    »Das habe ich bereits getan«, antwortete Olivier, der Majordomo. »Aber es hat nichts genutzt.«
    Langsam öffnete Rio die Augen. Der Gesichtsausdruck seines Herrn ließ den Majordomo so hastig zurückweichen, dass die Kerze in seiner Hand beinahe erlosch. »Sie soll sich zum Teufel scheren.«
    »Sie lässt sich aber nicht abwimmeln.«
    Rio studierte Oliviers zimtfarbenes Gesicht. Seine Gereiztheit und der Alkohol, der seine Sinne benebelte, ließen ihn den besorgten Ausdruck auf den feinen Zügen des Dieners geflissentlich übersehen.
    Für gewöhnlich empfing Rio keine Damenbesuche. Normalerweise war er derjenige, der das schöne Ge-schlecht mit seiner Anwesenheit beglückte. Im Schutz der Nacht erklomm er Fassaden und Säulen, kletterte über Regenrinnen auf Balkone oder schlich sich durch Seitentürchen, die eigens zu diesem Zweck unverschlossen geblieben waren. Die Witwen und vernachlässigten Ehefrauen von New Orleans, die sich in ihren Gemächern nur allzu gern die Zeit von ihm vertreiben ließen, schätzten seine Diskretion - und das nicht ohne Grund. Am helllichten Tag mit ihm gesehen zu werden, hätte dem Ruf dieser Frauen unschätzbaren Schaden zugefügt. Eine Dame, die Rio zu dieser späten Stunde in seinem eigenen Haus aufsuchte, riskierte also einen handfesten Skandal. Hinzu kam, dass die Gasse, die die Franzosen Passage de la Bourse und die Amerikaner Exch ange Alley nannten, kein Ort für ehrbare Frauen war. Fuhrwerke und Reiter durften sie nicht passieren. Dabei hatten Makler und Anwälte hier ihre Büros, es gab Herrenschneider, aber auch Bars, Spielhallen und zahlreiche Fechtstudios. Ausschließlich Männer besuchten die enge Gasse und frequentierten die Etablissements. Sah man gelegentlich nach Einbruch der Dunkelheit ein weibliches Wesen im Schatten der Arkaden, so handelte es sich mit Sicherheit nicht um eine Lady.
    Rio mied Prostituierte. Es war ihm zuwider, die bemitleidenswerten Kreaturen auszubeuten, die aus schierer Not ihren Körper verkaufen mussten. Deshalb hielt er sich von den Damen jenes Gewerbes fern. Auch an den jungen Mädchen und gut aussehenden Witwen der unteren Gesellschaftsschichten, die ihn sicher nicht zurückgewiesen hätten, fand er keinen Geschmack. Nein, er suchte eine ganz bestimmte Art von Liaison: inten-siv, diskret und unkompliziert. Diese Bekanntschaften waren selten von Dauer. Die erfahrenen Frauen aus besseren Kreisen, die ihm die Gunst erwiesen, wollten ihr Vergnügen haben, ohne dabei ihren gesellschaftlichen Status zu gefährden oder gar ihr Herz zu verlieren. Keine dieser Damen hätte je einen Fuß über seine Schwelle gesetzt.
    »Wirf sie hinaus«, knurrte Rio.
    Hinter sich hörte er das Rascheln schwerer Röcke. »Das hat er bereits vergeblich versucht, Monsieur. Vielleicht wollen Sie diese Aufgabe ja gern selbst übernehmen.«
    Wie die Klinge eines Degens schnitt die glockenhelle Stimme durch die Branntweinwolken in Rios Kopf. Der kultivierte Akzent und der ironische Unterton wiesen seine Besucherin als Angehörige der französisch-kreolischen Aristokratie der Stadt aus. Diese Stimme hatte er noch nie gehört, darauf hätte er seinen Kopf verwettet. Und wenn eine junge Dame aus besserem Hause hier allein mit ihm überrascht wurde, bestand durchaus die Möglichkeit, dass er ihn verlor.
    Er leerte das Glas und stellte es auf ein Tischchen neben seinem Sessel. Dann erhob er sich. Deutlich schwerfälliger, als es seiner Gewohnheit entsprach, wandte er sich zu der Dame um.
    Sie erfüllte den schummrig beleuchteten Raum mit Licht. Anders konnte man es nicht ausdrücken. Ihre helle Haut strahlte vor Gesundheit und Lebendigkeit. Ihr lockiges Haar war zu einer hohen Frisur aufgesteckt, aus der sich eine ganze Kaskade von goldbraunen Korkenzieherlöckchen über ihre Schulter bis auf die Brust hinab ergoss. Das Kerzenlicht ließ ihr Kleid aus golddurchwirkter weißer Seide wie Perlmutt schimmern -ganz besonders das eng anliegende Oberteil, das sich im Rhythmus
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