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Schampanninger

Titel: Schampanninger
Autoren: Max Bronski
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Ereignisse ist eine Chance. Es war wie damals an jenem Nikolausabend. Nur dass ich nun hellwach und von keinem Übergriff abgelenkt war. Wäre ich ein Hasso oder Rasso gewesen, hätte sich mein Nackenfell gesträubt, aber ich roch etwas, bemerkte einen Schatten hinter mir. Ich fuhr herum und sah ihn: Alois in seiner Lederschürze mit dem Bierschlegel in der Hand. Er hatte mir am Nikolausabend das Holztrumm übergezogen, das war mir jetzt vollkommen klar. In diesem Augenblick passierte sehrviel, die Zeit schien sich auszudehnen. Ich verstand, was los war und was ich zu tun hatte. Schon im Herumwirbeln holte ich aus und zog durch. Meine Faust krachte an Alois’ Kinn und holte diesen Hünen postwendend von den Beinen. Er stolperte nach hinten und fiel in die Bierkästen. Sofort war ich über ihm und zog ihn hoch. Mit glasigen Augen stierte er mich an. Es reichte, den Sendebetrieb hatte der für heute eingestellt. Ich stieß ihn in seine Kästen zurück.
    – Du mieser Schleicher.
    Wäre er nicht so ein ungeschickter Dummbeutel gewesen, der sich bei seinen Niederträchtigkeiten wie ein Tölpel verhielt, hätte ich ihm mehr Gewissenserforschung und Reue eingebläut. Bei einem dummen Menschen wie ihm war das aussichtslos. Außerdem war Heiligabend. Aber dass ich mir den Schlegel ein zweites Mal verpassen lassen würde, das konnte mir kein Mitglied der Heiligen Familie zumuten.
    Ich ging hoch und mischte mich unter die Bedürftigen. Die Speisung war bereits in vollem Gang, der Allacher Dreigesang, auf dem Hackbrett begleitet, servierte Weihnachtsweisen dazu. Ich verdrückte mich an das Ende des Saales, wo man einen guten Überblick hatte. Ein kleidungsmäßig leicht schwartiges Paar, das ich mit hoch aufgepackten Plastiksäcken auf dem Rad schon des Öfteren im Schlachthofviertel beim Betteln gesehen hatte, bot mir einen Platz an.
    Endlich betrat der Oberbürgermeister die Bühne, darauf hatte ich lange und mit großer Spannung gewartet. Wie immer redete er launig und girlandig. Er tupfte die große Tradition des Gebens und Nehmens seiner weißblauen Heimatstadt hin und ließ den Unterschied zwischen Christkindl und Münchner Kindl vollkommen verschwinden. Wie ein Moriskentänzer bewegte er sich auf dem schweren, sentimentalischenWeihnachtsgeläuf, um in dem selbstmitleidigen Schniefen und dumpfen Starren auch einige Heiterkeitslichtlein zu zünden.
    Ich litt. Mein Gott, was redete dieser Mensch da ausdauernd! Aber endlich, als ich schon mit einem Misserfolg meiner geschickt eingefädelten Mission rechnete, begann er den Organisatoren der Veranstaltung doch noch Kränze zu winden. Allen voran natürlich Berni Berghammer.
    Dazu zog er einen Zettel heraus und nun kamen die goldenen Worte, auf die ich so lange gewartet hatte: Besonders freue er sich, etwas bekannt geben zu dürfen, von dem auch die anwesenden Damen und Herren der Presse noch nichts wüssten, dass sich nämlich der Verein Lux in tenebris entschlossen habe, mit einer hochherzigen Spende von hunderttausend Euro die Stadt München bei Aus- und Umbau des Carl-Löbe-Heims zu unterstützen.
    Unter großem Beifall wurde Berni Berghammer auf die Bühne geholt. Selbst von meinem Platz aus bemerkte ich, wie sehr ihm der Schock in alle Glieder gefahren war. Das unnatürlich bleiche Gesicht im Ensemble mit seinen dunklen Resthaaren ließ ihn wie eine angekokelte Crème brûlée aussehen.

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    Als ich mich durch den Saal zum Ausgang zurückarbeitete, blieb ich noch bei Vierthaler und seinen Alkchinesen hängen. Ich hatte mit dem Kerl nichts mehr am Hut, er aber hatte sich erhoben, um mich in Empfang zu nehmen, und war einkomplett anderer Mensch, denn heute war er zur Feier des Tages stocknüchtern geblieben.
    – Gossec, sagte er und wand mir seinen Arm um den Leib, du bist ein guter Kerl und ein echter Kamerad. Was auch immer kommt, bei mir hast du einen gut!
    Seine Fraktion nickte das mit wässrigen Augen ab, man wünschte sich noch Frohes Fest, und ich schob mich weiter durch die Reihen.
    Ich wäre ihm gerne ausgewichen, aber vielleicht war es unvermeidlich, dass ich Berni noch einmal in die Arme lief. Er stand da, richtete einen tränenverschleierten Blick nach oben und stützte beide Hände in die Hüften. Immer wieder schüttelte er den Kopf. Mit der ganzen Intensität seines hitzigen Gemüts bearbeitete er den herben Verlust seiner Talerchen. Da er nicht aus sich herausdurfte und Contenance zu wahren hatte, implodierte er auf eine weihnachtlich stille Art und Weise.
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