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Schwarze Rosen

Schwarze Rosen

Titel: Schwarze Rosen
Autoren: Michele Giuttari
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1
    DIENSTAG, 22. JUNI 2004
    Eine drückende Stille lag in der Luft.
    Zäh.
    Lastend.
    Todesschwer.
    Der abgedeckte Sarg stand mitten in der Aufbahrungshalle und wurde vom kalten Licht einer Neonlampe angestrahlt. Die Leiche war klein und zierlich und mit einem schwarzen Kleid und ebenfalls schwarzen, tadellos sauberen Schuhen bekleidet. Ihre kurzen glatten Haare schimmerten schneeweiß. In ihren über dem Bauch gefalteten Händen hielt sie ein Perlmuttkreuz. Die Frau musste um die achtzig und einmal sehr schön gewesen sein. Jetzt jedoch entstellte ein tiefer Schnitt ihr aschfahles Gesicht, der senkrecht über die Stirn verlief und genau zwischen den Augen endete.
    Fassungslos und erschüttert betrachteten die Polizeibeamten die Tote, während sie voller Ungeduld auf das Eintreffen des Gerichtsmediziners warteten. Nur hin und wieder murmelte jemand leise etwas: »Wie schrecklich! So etwas habe ich noch nie erlebt.«
    »Die Ärmste!«, bemerkte schließlich laut ein junger Schlaks mit blonden Haaren und Sommersprossen auf der Nase, Marco Cioni, ein Ispettore des mobilen Einsatzkommandos, der als Erster vor Ort gewesen war.
    »Diese Stadt …«, hob Commissario Michele Ferrara an, doch er ließ den Satz in der Luft hängen. Eine halbe unangezündete Toscano-Zigarre steckte zwischen seinen Lippen, die er regelrecht zu malträtieren schien. Er trug einen dunkelblauen Leinenanzug mit hellblauem Hemd und farblich abgestimmter Krawatte und hätte an diesem Morgen um neun Uhr beim Polizeipräsidenten vorsprechen sollen, um ihn über den Verlauf des Antidrogeneinsatzes zu informieren, der in den vergangenen Stunden stattgefunden hatte. Stattdessen war er hier, in den Nuove Cappelle del Commiato, dem städtischen Leichenschauhaus, das zu der großen Poliklinik im Stadtteil Careggi gehörte. Er trat noch ein Stück näher an den Sarg heran und musterte die Leiche eingehend. Plötzlich wurde ihm übel, und er schloss kurz die Augen. Dann atmete er tief durch und sah auf die Uhr: acht Uhr sechsundvierzig.
    In diesem Moment sprach ihn jemand von hinten an.
    »Guten Morgen, Commissario, entschuldigen Sie die Verspätung.«
    Es war Francesco Leone, den er mit ausgestreckter Hand begrüßte.
    »Der übliche Stoßverkehr morgens …«, erklärte der Arzt schulterzuckend.
    Diesem untersetzten Mann mit dem kahlen runden Kopf vertraute Ferrara. Er schätzte seine detaillierten, präzisen Obduktionsberichte und ebenso seine Mutmaßungen über den Hergang einer Tat, die er häufig daraus ableitete. Schon mehr als einmal hatte er damit ins Schwarze getroffen, das musste man ihm lassen.
    Leone knöpfte sein etwas zu eng sitzendes Jackett auf, setzte die schmale Goldrandbrille auf und begann unter den schweigenden Blicken der Anwesenden mit der Untersuchung. Nach ein paar Minuten richtete er sich auf und verkündete: »Eine gut ausgeführte, ich würde sogar sagen, höchst professionelle Arbeit. Ihre Männer können jetzt den Sarg inspizieren, Commissario.« Damit ging er hinaus auf den Korridor.
    Ferrara erteilte seine Anweisungen, schärfte den Kollegen jedoch ein, auf die Spurensicherung zu warten, damit jeder Schritt fotografisch dokumentiert wurde. »Ich schicke gleich ein Team von der Squadra Mobile her, das die Ermittlungen aufnehmen soll«, fügte er hinzu und folgte dem Gerichtsmediziner nach draußen.
    Wieder ein Rätsel zu lösen.
    In Florenz.
    Dieser Stadt, die ihn einfach nicht annehmen zu wollen schien.
    2
    »Wie viel Zeit hat diese ›höchst professionelle Arbeit‹, wie Sie sagen, in Anspruch genommen?«, lautete Commissario Ferraras erste Frage, als sie sich auf dem Flur gegenüberstanden.
    Leone erklärte, dass es sich nicht um eine grobe, spontane Tat gehandelt hatte, sondern um eine, die mit großer Geschicklichkeit und höchstwahrscheinlich mit chirurgischen Instrumenten ausgeführt worden war. Der Täter war mit Bedacht vorgegangen und besaß eventuell sogar Erfahrung auf dem Gebiet der Chirurgie.
    »Was für Instrumente?«
    »Skalpell, Zange und Schere. Also solche, an die normalerweise nur Ärzte oder Pflegepersonal gelangen können, weil man sie nicht in jeder Apotheke bekommt«, antwortete Leone seufzend.
    »Verstehe. Aber wie lange hat er dazu gebraucht?«, beharrte Ferrara.
    »Nicht lange.«
    »Das heißt?«
    »Etwa zehn bis fünfzehn Minuten. Eher fünfzehn, würde ich in Anbetracht der Sauberkeit des Schnittes schätzen. Doch ich werde die Leiche später noch gründlicher examinieren und kann Ihnen dann
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