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Schampanninger

Titel: Schampanninger
Autoren: Max Bronski
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für Antikschätze und nicht für Gebrauchtmöbel zuständig, aber in diesem Fall konnte man eine Ausnahme machen. Mein Punktestand im goldenen Himmelsbuch würde rasant nach oben schnellenund von den Schuldgefühlen, die mich bedrängten, konnte ich einiges abbauen.
    – Ich kümmere mich darum und gebe dir Bescheid, wenn ich was Passendes habe.
    Nach diesem rasanten Angang driftete ich in einen beschaulichen Tag. Genau genommen passierte gar nichts. Kein einziger Kunde verirrte sich in meinen Laden, einzelhandelsmäßig war dieser fünfte Dezember ein so kompletter Ausfall, als hätten sie unser ganzes Schlachthofviertel abgeriegelt. Aber die Weisheit des Ostens und ihre Broschüren waren inzwischen auch schon bei einem Trödelhändler wie mir angekommen, und das nicht nur in dem Separatkasten, in dem ich für meine Kunden Buddhistika bereithielt. Diese Weisheit lehrt uns, dass den westlichen Menschen nichts so sehr aufreibt wie die quälenden Gedanken an gestern und morgen. So saß ich also mit großem Gleichmut auf einer bislang unverkäuflichen Chaiselongue und rauchte meine Selbstgedrehten.
    Draußen war aber auch einiges geboten. Es schneite den ganzen Tag über. Flocken, dick wie Bettfedern, schwebten so langsam herab, dass man ihre Schneekristalle im Vorbeifliegen durchzählen konnte. Ich hatte es mir hinter meinem Schaufenster wie vor einem Himmelsaquarium bequem gemacht. Langweilig wurde einem da nie. Man guckte hoch, suchte sich ein besonders wohlgeformtes Exemplar aus und verfolgte seinen Weg nach unten, bis es sich in die weiße Bedeckung einfügte. Danach ließ ich mich von einem Wirbel ablenken, von Flocken, die wieder hochgeblasen wurden und scheinbar nie unten ankommen wollten. Zwischendurch widmete ich mich ihrem Formationsflug und machte Mustergucken, wie es die Norweger tun, wenn sie ihre Pullover stricken.
    So verging der Tag. Gegen vier Uhr kam mit derDämmerung eine Knackkälte, die den Zauber zumindest bis morgen konservieren würde. Heute wurden wir Daheimgebliebenen für vieles entschädigt. München präsentierte sich in weißer Pracht, gegen die diese Uschis und ihr Kitzbühel nicht ankamen.
    Ich fuhr auf. Die Hirnregion, die für die Regelung des Alltags zuständig ist, gab Alarm. Ein Hausmeisterehepaar mit dem strikten Auftrag, noch dieses Jahr Ordnung zu schaffen, hatte sich auf meine Daueranzeige in der Süddeutschen Zeitung hin gemeldet, nach der ich Haushaltsauflösungen durchführe. Ich hatte ihnen zugesichert, das Speicherkabuff in der Klenzestraße in Augenschein zu nehmen, um eine Regelung zur Entsorgung des Altmobiliars zu treffen. Ich sperrte meinen Laden ab und ging zu Fuß hinüber.
    Eine gute Viertelstunde später stand ich mit dem Ehepaar Rheinthaler in der Abstellkammer. Er hatte sich einige Nikolaus-Glühweine spendiert und nuschelte so Unverständliches wie der Wind, der durch das Dachfenster pfiff. Sie, die beim Aufstieg zum Speicher von einem ständigen Messingpolier- und Geländerwischzwang heimgesucht wurde, versuchte seinen Halbsuff durch kapohaftes Auftreten zu übertünchen. Wer beim Geschäftemachen derart behindert war, lag immer daneben. Ich gab mich unterwürfig, und so glaubte sie, mich gehörig übers Ohr gehauen zu haben, als sie mich für fünfzig Euro zum Abtransport des ganzen Plunders vergatterte. Ich hätte auch dann noch einen guten Schnitt gemacht, wenn ich die fünfzig Euro meinerseits hätte drauflegen müssen. Ein paar Stücke wie das geschnitzte Zigarrenschränkchen oder der sterbende Wildschütz in Öl warteten nur darauf, in meinem Laden feilgeboten zu werden. Und eine pfenniggute Liege für Babsis Kleine war auch dabei.
    Mit einer vorteilhaften Abmachung im Rücken und einem guten Geschäft vor Augen tat sich unsereiner mit dem auf den Augenblick ausgerichteten Leben deutlich leichter. Östliche Weisheit nur nachzubeten war einfach, sie in westliche Anschauungen zu gießen hingegen ziemlich kompliziert. Mein Freund Julius, der sich in meinem Buddhistika-Kasten gerne leihweise bediente, hatte mir gelegentlich erklärt, dass ich mir das mit der Schichtung der Lebenszeiten übereinander wie eine Schnitzelsemmel vorstellen müsse. Vergangenheit und Zukunft seien nur Puffer-, allenfalls Sättigungsmasse für das Eigentliche, den Genuss des Augenblicks, das Schnitzel eben.
    Als ich die Geyerstraße erreichte, ging der Mond auf, rund, fett und so platzgreifend voll, dass ich mich am liebsten in die Büsche geschlagen hätte, um ihn wie ein Köter
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