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Schampanninger

Titel: Schampanninger
Autoren: Max Bronski
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anzuheulen. Bei jedem Schritt knirschte die feste Schneedecke. Man hatte auf dem Gehsteig fürs Erste nur eine schmale Gasse geräumt.
    Dann sah ich ihn, ein unvergesslicher Anblick, der mir bis heute eingeprägt geblieben ist. Er saß am Ende der Straße auf einem Türmchen aufeinandergeschichteter Pflastersteine: ein weinender Nikolaus. Wie ein geprügelter Schlosshund winselte und wimmerte er in sich hinein. Dazwischen schnappte er röchelnd so heftig nach Luft, dass es ihm den Kopf in den Nacken riss.
    Seinem Kollegen hatte ich noch vor dem Tengelmann die weiß behandschuhte Hand geschüttelt und dafür einen Gewürztaler erhalten. Aber der hier war ein anderes Kaliber, ein Mordskerl, nur eben todtraurig. Als ich näher kam, hob er den Kopf.
    Jetzt erkannte ich ihn. Unter der Bischofsmaske steckte Lorenz Vierthaler, Häuptling der Penner, Stubenältester imObdachlosenheim. Ich hatte mir im Gehen mit klammen Pfoten eine Zigarette gedreht, die ich mir anzünden wollte. Als ich vor Vierthaler stand, unterließ ich es. Ich hätte damit Gefahr für Leib und Leben heraufbeschworen. Die Schnapsaura, die seinen weihnachtlichen Vollbart umwölkte, war so intensiv, dass ich wegen der drohenden Verpuffung darauf verzichtete. Die Flammen hätten von seinen weißen Polyesterhaaren rasch Besitz ergriffen und sie wie einen strohrumgetränkten Zuckerhut über der Feuerzangenbowle abgefieselt.
    – Gossec, du musst mir helfen, greinte Vierthaler. Jemand muss rüber ins Altenstift zur Nikolausfeier.
    Er stöpselte seine Geschichte zusammen. Kompliziert war sie nicht. Mittags war er als blitzsauberer Bischof Nikolaus vom Carl-Löbe-Heim für Obdachlose losgezogen. Die karitativ gesinnten Schwestern des Josepha-Altenstifts wollten Randständigen eine Chance bieten und hatten ihren Bischof dort bestellt. So weit, so gut, aber Vierthaler war schließlich den vielfältigen Versuchungen der Geyerstraße erlegen.
    Die Geyerstraße hat der Teufel gesehen. Sie bildet einen Auslass aus dem Edelviertel Glockenbach hinüber zum Schlachthof, wobei man sinnigerweise die Kapuzinerstraße zu überqueren hat. Dort wäre man am Ziel, wenn man dem Kreuzfeuer von Verlockungen widerstehen könnte, mit dem selbst ein versuchungsgestählter Minderbruder wie der heilige Antonius seine liebe Not gehabt hätte. Am Eingang der Geyerstraße lockt das Bachstüberl , in dem man prollig gepflegt ein, zwei Weißbier trinken kann. Zivilisiert verabschiedet man sich, steht dann aber gleich ums Eck vor einem Tag und Nacht offenen Kiosk, wo man sich, weil einem schon wieder knochenkalt ist, einen kurzen Klaren oder einen Underberg im Fläschchen aushändigen lässt. Alle guten Vorsätze kreisendarum, diesmal nicht hineinzugehen, aber wenn man dann vor dem weißblautümeligen Schluckspecht steht, gibt sich einem die Klinke wie von selbst in die Hand. Auch dann käme man noch halbwegs unbeschadet über die Straße, wenn nicht noch der Geier-Horst auf einen warten würde. Hier fügt man sich in sein Schicksal und gibt sich die Kante. Man hockt hinter einem gelbschlierigen Schaufenster, trinkt Pils oder Weißbier, Eierlikör oder deutschen Weinbrand, je nachdem, ob man ein weiblicher oder männlicher Kunde ist. So ähnlich war es wohl Vierthaler ergangen. Verschärfend kam hinzu, dass er nur Geld holen musste, wenn er welches brauchte. Er ging zweihundert Meter weiter zum Rewe , wo er den Leuten die Hand schüttelte und sie um eine Spende für Obdachlose bat. Damit soff er weiter.
    Vierthaler hatte sich aufgerichtet und klammerte sich schwankend an mein Revers.
    – Gossec, du musst das machen.
    Ich war dem Kerl, der mir mit seiner ungesunden Fahne vor dem Gesicht hing, überhaupt nichts schuldig.
    – Die lassen mich nie wieder ins Löbe-Heim rein.
    Aber das Herumzinseln, ob sich Geben und Nehmen irgendwie die Waage halten, macht dich vollends zum Deppen. Die guten wie die schlechten Taten musst du kraftvoll aus dir heraushauen, sonst bist du dein Leben lang ein Schleicher, der mit seiner geizigen Buchführung Hirn und Herz vergiftet und sich per saldo nie traut, besser oder schlechter als andere zu sein. Wer einen solchen Gedanken geradeaus zu Ende denken kann, hat zweifellos die Statur zum Bischof Nikolaus.
    – Zieh die Kutte aus und mach deinen Bart ab.
    Vierthaler glotzte mich blöd an, endlich begriff er. Er schälte sich aus seinem Ornat, dann hängte ich das Kostüm an das Verkehrsschild zum Lüften und Ausdünsten.
    – Wo sind der Hirtenstab und die
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