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Schampanninger

Titel: Schampanninger
Autoren: Max Bronski
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an den Strom an. Wegen des Gepfeifes und Gejohles hörten wir nur undeutlich, dass er etwas von Slaughterhouse Rock und proud to present ins Mikrofon brüllte. Edi stand ziemlich nahe an der Tür, Julius so einsam und traurig in der Mitte des Raumes wie das Männlein im Walde.
    Aber dann tobte draußen diese drogenmäßig aufgespritzte Rampensau über die Bühne. Er drehte die Verstärker bis zum Anschlag auf und schickte donnernde Riffs wie Brandfackeln ins Publikum. Nachdem alle kapiert hatten, wo es nun langgehen sollte, wurde er feinmechanischer und begann mit einem Potpourri aus Hardrock-Nummern, die er ineinander verwob. Er glitt durch die Stücke wie ein Hochseilartist, der immer gerade rechtzeitig die nächste Schaukel erwischte. Zwischenhinein fingerte er Läufe das Griffbrett hinauf, als wollte er seine Töne die Himmelsleiter hochtreiben.
    Obwohl man ihn dauernd vor sich hatte, vergaß man, dass der Kerl genauso schartig und abgewetzt wie seine ehemals glanzlackierte Gitarre aussah. Als gäbe es auf der Bühne eine magische Illumination aus dem Hintergrund, die alles verwandelte. In solchen Momenten offenbarte sich eines der großen Wunder des Rock ’n’ Roll, dass nämlich ein einzelner Mann mit einem Instrument, das gar nicht dafür ausgelegt ist, ein Inferno entfesseln kann.
    Julius und Henry standen ehrfürchtig da.
    – Raus mit euch, sagte ich.
    Sie trabten los. Der dicke Onkel Tom hörte nicht auf, seine Läufe hinauf- und hinunterzupeitschen. Nach einer Weile realisierte er endlich, dass er Mitspieler bekommen hatte. Mit dem Hals seiner Gitarre gab er den Einsatz, und es jagte einem einen wohligen Schauer den Rücken hinunter, dass endlich Schlagzeug und Bass diese irrwitzige Gitarre einfingen.Die Musik bekam Volumen und ein Gerüst, genau darauf hatte man gewartet.
    Henry begann zögerlich und unsicher. Er saß in einem Beiwagen, der von einem durchgedrehten Fahrer über Stock und Stein gejagt wurde. Dann aber merkte er, dass sich Tom ohne ihn total verfranst hätte, und begann nicht nur einen Teppich zu legen, sondern zeigte, wie er wieder auf ihn herunterkam. Das wurde immer besser, ich schnaufte erleichtert durch. Henry schlug jetzt seine Tempi so präzise, dass man jede Atomuhr danach hätte stellen können.
    Julius am Bass, eine Bank konnte das nie werden, aber er ließ ihn wummernd dahinpoltern wie einen Lastwagen, der über die Schlaglöcher einer Schotterstraße vorwärtsbrettert.
    Das Ding war gelaufen. Diese drei Herren da vorne auf der Bühne trugen ihr Gold nicht nur um die Hüften, sondern hatten es auch im Herzen. Ob Jimmy Page an diesem Abend so aufgelegt gewesen wäre, Onkel Tom das Wasser zu reichen? Wahrscheinlich nicht. Unser schwarzer Mann lieferte nichts weniger als das Konzert seines Lebens. Vielleicht merkte das niemand, vielleicht durfte das ja auch nicht gelten, weil ich den Kerl gedopt hatte, aber an diesem Silvesterabend teilte Onkel Tom das tragische Los vieler, dass nämlich ihre Großtaten schon im Ansatz vergessen sind, weil niemand begreift, was da vor seinen Augen abläuft.
    Ich zog mich in eine Ecke zurück. Über dem vielen Reden hatte ich das Trinken vergessen. Und das sollte einem an Silvester nicht passieren.
    Ich legte die Beine hoch und sandte noch einen stillen Gruß zu Emma. Morgen würde ich im Nachtzug nach Messina sitzen.
    Vollständige eBook-Ausgabe der im Verlag Antje Kunstmann erschienenen Buchausgabe
    Originalausgabe © Verlag Antje Kunstmann GmbH, München 2008
    Umschlaggestaltung: Michel Keller, München
    Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
    ISBN 978-3-88897-635-3
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