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Schampanninger

Titel: Schampanninger
Autoren: Max Bronski
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Es zuckte in seinem Gesicht, er grimassierte wie ein Nervenkranker, als zerrten unsichtbare Kobolde an ihm.
    Kaum hatte er seinen Blick klar gestellt, bemerkte er mich. Er packte mich am Schlafittchen und zog mich in seine Stube.
    – Das hast du mir eingebrockt!
    Ich schob seine Hände von meinem Revers und stellte vorsichtshalber meine Ordinariatstüte auf den Boden.
    – Freilich. Ich habe es dir doch prophezeit, dass du den Verlust ausgleichen wirst.
    Er holte aus, um mir eine zu wischen. Ich duckte mich und hob die Fäuste.
    – Auf geht’s, Berni. Darauf warte ich schon lange.
    Entschlusslos ließ er seine Hand sinken. Dann griff er in die Tasche seiner Pepita-Kochhose und zog ein Taschentuch hervor, in das er geräuschvoll schnaubte, bevor mir seinausgestreckter Arm die immerwährende Vertreibung aus dem Paradies anzeigte.
    – Hinaus! Hausverbot in allen meinen Lokalen, und zwar für immer.
    Damit konnte man leben, das Urteil hätte schlimmer ausfallen können.

49
    Frohgemut stapfte ich nach Hause. Hätte über meinem Kopf ein Heiligenschein zu leuchten begonnen, es hätte mich nicht gewundert. Ich schellte Julius heraus, und wir gingen in meinen Laden hinüber, den ich wohlweislich vorgeheizt hatte. Zur Illumination unserer Tanne war nur ein Schalter umzulegen, und schon kam Weihnachtsstimmung auf. Die Weißwürste stellte ich gleich auf meinen Bullerofen im Laden, Tischdecke, Brezen und Getränke, das alles war ruckzuck hergerichtet. Schwierigkeiten bereitete nur die Bestimmung des optimalen Entnahmezeitpunkts der Würste. Dieser ergibt sich aus einer Resultante, Gesamtverweildauer genannt, und ist extrem schwer zu bestimmen, weil er von endogenen Faktoren wie Brätkonsistenz und Belastbarkeit des Naturdarms abhängig ist, aber auch von exogenen wie weiterer Hitzezufuhr, Wassertemperatur und -menge und somit im bayerischen Kosmos eine ähnlich rätselhafte Größe darstellt wie die Kraft, die das Universum zur Expansion zwingt. Bis zu ihrer schlüssigen Aufklärung hilft uns nur die Hoffnung, sie möchten nicht platzen.
    Ich hatte Julius gebeten, die Begleitung von ein paar Weihnachtsliedern auf der Gitarre vorzubereiten. Als es so weit war, stellte sich heraus, dass er überhaupt nicht geübt hatte und seine viel gerühmte Fähigkeit, vom Blatt bzw. Bieretikett abzuspielen, scheiterte, weil die Noten so klein wie Fliegenschiss gedruckt waren und er noch nicht einmal den Bassvom Violinschlüssel hätte unterscheiden können. So wichen wir dann doch auf Bekanntes aus und sangen gemeinsam von den vielen Straßen, die ein Mann zu gehen hat, bevor Julius zum Abschluss eine gitarrenmäßig abgespeckte Version des Windes darbot, der neben Maria auch noch nach Joseph und dem Kinde ruft. Dann rückten wir den Würsten und dem Bier zu Leibe.
    Punkt elf zogen wir schwankend nach St. Andreas hinüber, wo sich die ganze Hautevolee des Schlachthofs zu einer italienisch-deutschen Christmette versammelte. Angemessener als in diesem grau gestrichenen Zweckbau konnten wir uns nicht zusammenfinden, die Antwort des Schlachthofviertels auf die Entstehung der Kirche aus der Markthalle. Beichtstühle so groß und klobig wie selbst zusammengebaute Kleiderschränke, kein Pelz, obwohl doch das Frackabziehen zum täglichen Geschäft der Schlachter gehörte, stattdessen Anoraks und Arbeiterkluft. Das Ganze ging so ehrlich wie der Gestank aus den Ställen über die Bühne, geschummelt wurde nur bei den guten Wünschen, die aus der Gemeinde vorgebracht wurden und die dann doch mehr mit Frieden und Glück für alle zu tun hatten statt mit dem Naheliegenden.
    Als wir durch die Kälte nach Hause gingen, blieb Julius stehen und zeigte auf den menschenleeren Schlachthof.
    – Weißt du, worauf ich mich am meisten freue?
    Natürlich wusste ich das, aber Julius sollte es sagen dürfen.
    – Nein, keine Ahnung!
    – Mann, auf das Silvesterkonzert mit Jimmy Page natürlich.
    Ich schaute in den wolkenlosen, frostklaren Himmel. Vom Herrn Pfarrer warm gepredigt und mit der Menschheit in bestem Einvernehmen vermerkte ich mit großer Dankbarkeit, dass ich auch diese turbulenten Tage unbeschadet überstanden und zu einem guten Ende gebracht hatte. Unsereiner schickt solche Bekundungen in den anonymen Weltraum hinauf, hätte ich sie einem höheren Wesen persönlich gewidmet, hätte es mir anständigerweise zurufen müssen: Welch ein Irrtum, Gossec! Denn an diesem schönen Abend hatte ich noch keine Vorstellung vom Ausmaß der Bedrängnisse, die in
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