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Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Titel: Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
Autoren: Martina André
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Einzelzellen auf zwei Etagen zu den meistgefürchteten Einrichtungen des Zarenreiches.
    Katja hatte die ganze Zeit über nicht aufgehört zu weinen. Und nachdem man sie auf dem weitläufigen Innenhof von Leonard getrennt hatte, stieß sie einen markerschütternden Schrei aus, der in mehrfachem Echo von den Mauern widerhallte. Leonard musste mit ansehen, dass sie sich wie eine Wilde gebärdete. Ohnmächtig verfolgte |24| er, wie die Gefängniswärter mit unkontrollierten Schlägen dem entwürdigenden Schauspiel ein jähes Ende bereiteten.
    Er selbst landete – ohne die geringste Gelegenheit zur Verteidigung – im örtlichen Untersuchungsgefängnis, einem finsteren, feuchten Ort, der sich weitaus schlimmer gestaltete als jeder andere Platz auf dieser abgeschlossenen Newa-Insel, die nur durch eine schmale Brücke zu erreichen war.
    Derbe Hände stießen ihn in das unwirtliche Loch und verfuhren mit ihm, wie es ihnen beliebte. Wie betäubt, an Händen und Füßen mit eisernen Ketten gefesselt, nahm er das Geräusch einer zuschlagenden Eisentür wahr.
    Zitternd wartete er in der Düsternis zwischen kalten Steinen und schmutzigen Strohmatratzen auf sein weiteres Schicksal.
    Die vergangenen Stunden erschienen ihm wie ein unwirklicher Alptraum. Er war nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn, eine Strategie zu entwickeln, wie er aus diesem Schlamassel wieder herauskommen sollte.
    Man hatte die Waffe, mit der Katja den Polizisten erschossen hatte, in ihrer Manteltasche entdeckt. In all der Aufregung hatten sie vergessen, den Revolver in die Newa zu werfen. Man beschuldigte Leonard, den Juden erschlagen zu haben. Dabei hätten Dutzende von Zeugen belegen können, dass ihn keine Schuld traf. Doch sie waren alle geflohen, nachdem plötzlich Polizei und Militär aufgetaucht waren.
    Stunden vergingen, in denen unzählige Schüsse die Luft zerrissen. Ahnungsvoll vernahm Leonard die Stimmen schreiender Menschen. Wie eine rasende, nicht aufzuhaltende Seuche hatte sich die Schießerei im Waffenlager offenbar über die ganze Stadt verbreitet. Draußen war es längst dunkel geworden. Und so wie es aussah, war er nicht der einzige Neuzugang an diesem Tag. Das Weinen, Zetern und Fluchen wiederholte sich mehrmals, bis es schließlich verebbte und es wieder so still wie in einer Grabkammer war.
    Später wurde irgendwann die Tür zu seinem Gefängnis aufgerissen, und die beiden grobschlächtigen Gestalten, die ihn mit Knüppeln derb in die Rippen stießen, damit er sich in Bewegung setzte, waren noch weitaus weniger Vertrauen erweckend als die düstere Umgebung.
    |25| Sie trieben ihn, geduckt und viel zu schnell, in eine weitere unterirdische Zelle. Leonard wurde von der unseligen Gewissheit gepackt, dass es sich um so etwas wie eine Folterkammer handeln musste. Den Mantel hatte man ihm längst genommen, als man ihn nach Waffen durchsucht hatte, und nun forderte man ihn mit knappen Worten auf, die Hosen herunterzuziehen.
    Als er nicht sofort reagierte, traf ihn ein Knüppelschlag zwischen die Schulterblätter, der ihm den Atem nahm. Keuchend stürzte er bäuchlings auf einen hüfthohen Tisch, an dessen Ende sich eine Aussparung in der Tischplatte befand, gerade so groß, dass sein Gesicht hineinpasste. Einer der Männer nutzte sein ungläubiges Erstaunen und zog ihm die zusammengeketteten Hände nach vorn, während er seine Arme mit dicken Lederriemen an der Platte fixierte. Der Zweite machte kein langes Federlesen und riss ihm die Hosen herunter, ohne Rücksicht darauf, dass Knöpfe absprangen. Den Gürtel hatte man ihm vorher bereits abgenommen. Zu oft kam es vor, dass sich verzweifelte Häftlinge daran erhängten.
    Halb nackt bis zu den Waden, lag er auf dem eiskalten Tisch. Den Hintern entblößt, wie zuletzt vor beinahe fünfzehn Jahren, als sein Vater ihn das letzte Mal übers Knie gelegt hatte, um ihn mit bloßer Hand für einen gestohlenen Kuchen zu bestrafen. Doch diesmal ging es nicht um einen Kuchen, und es war auch keine Hand, die ihn schlug. Eine Weidenrute sauste auf ihn herab; der Schmerz war so grausam, dass Leonard das Atmen vergaß und sich die Unterlippe aufbiss. Tränen schossen ihm in die Augen, aber viel schlimmer erschienen ihm die Scham und das Gefühl der Unwirklichkeit, das ihn durchfuhr.
    »Ich will einen Advokaten sprechen«, brüllte er wie besinnungslos. »Was ihr hier tut, widerspricht jeglichem Recht und Gesetz!«
    Grölendes Gelächter folgte, und der rüde Kerkergeselle dachte nicht
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