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Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Titel: Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
Autoren: Martina André
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Luft. Vielleicht war es der Hauch der Revolution, vielleicht aber waren es auch die Ausdünstungen von all den armen und heruntergekommenen Demonstranten, die sich ihnen abgemagert und zerlumpt entgegendrängten.
    |18| »Ich habe meinem Bruder versprochen, ihn am Friedhof hinter der Kirche der Heiligen Mutter zu treffen.«
    »Sag mir, was er vorhat!« Leonard war stehen geblieben, seine Hände gruben sich in Katjas schmale Oberarme. Er war ein ganzes Stück größer als sie und beugte sich weit genug hinunter, bis sich ihre Atemwölkchen vermischten. Sein Blick war so konzentriert auf ihre dunklen Augen gerichtet, als ob er sie beschwören wollte.
    »Lass mich los!«, giftete sie ihn wütend an. »Du tust mir weh. Und außerdem geht es dich nicht mehr an als eine Ladung Pferdemist, was Alexej mit mir ausmacht. Solange wir nicht verheiratet sind, gehörst du nicht zur Familie.«
    Ihre Worte trafen ihn hart, und für einen Moment stellte sich Leonard die Frage, ob ihn diese Feststellung traurig oder zornig machte. Mit einem Seufzer setzte er ihre Begleitung fort, als Katja in ihrem flatternden Mantel regelrecht davonstob, die kleinen Füße in den groben Stiefeln, so schnell wie der Kleine Muck in Hauffs Märchen.
    Doch es war keine Märchenwelt, in die sie sich hineinbegab. Das wurde Leonard spätestens klar, als sie ihr Ziel erreichten. Ein Mitglied der Davydov-Bande, wie Leonard Alexejs persönliche Schergen nannte, wartete bereits auf sie, genauer gesagt, auf Katja.
    »Hast du die Pläne bei dir?«, fragte er.
    Katja nickte kaum merklich und zog ein zerknittertes Stück Papier aus ihrer Manteltasche. Leonard schnappte nach Luft, als er sah, dass es sich um eine ziemlich genaue Beschreibung der einzigen hier befindlichen Waffenwerkstatt handelte. Die Firma Schaff war ein deutsches Traditionsunternehmen, das unter deutscher Leitung nicht nur exzellente Lang- und Faustfeuerwaffen herstellte, sondern sie auch wartete und reparierte. Verteilt auf mehrere Gebäude und Etagen gab es Lager- und Produktionshallen, alle umgeben von einer steinernen Mauer.
    Eine kahle Platanenallee säumte den Weg vom Friedhof zur Fabrik, und im Schutz der riesigen Bäume entschwand der Mittelsmann mit dem hastig übergebenen Papier. Raben flogen krächzend auf und ließen sich schutzsuchend in einem weiter entfernten Baum nieder. »Sag nur, sie wollen in die Fabrik?« Leonard spürte, wie der Boden unter ihm wankte. War Katjas Bruder tatsächlich so verrückt, ein Waffenlager zu überfallen? Und wenn ja, warum? Angst wallte in ihm auf. |19| Wenn Davydov und seine Anhänger zu Gewehren und Pistolen griffen, würde es eine Katastrophe geben. Leonard ahnte, dass die Dritte Abteilung, der berüchtigte Geheimdienst des Zaren und seine berittenen Kosaken bereits darauf warteten, dass auch nur einer von den Demonstranten die Nerven verlor. In den Gesichtern all jener bis an die Zähne bewaffneten Männer hatte er die Nervosität erkennen können, die ihnen innewohnte und die einen braven Familienvater ohne Probleme in einen bösartigen Dämon verwandeln konnte.
    Im Nu würde es ein Blutbad geben. Dass sich in der Menge viele Kinder und alte Menschen befanden, hatte Leonard auf dem Weg hierher ausmachen können.
    »Wir müssen zu deinem Bruder«, herrschte er Katja an und zog sie mit sich. »Ich werde ihm die Sache ausreden.«
    »Er wird sich von dir nichts sagen lassen«, keuchte sie atemlos, während sie die Straße entlang hasteten.
    »Wenn er tut, was ich vermute, wird er sterben! Und nicht nur er!« Leonards Stimme drückte seine ganze Verzweiflung aus. Nur noch ein paar Meter, und sie erreichten das hölzerne Tor, welches in den Innenhof der Fabrik führte. Leonard schrak jäh zurück. Der zuständige Wachmann, ein schmächtiger alter Kerl in einer verblichenen Uniform, der normalerweise den Eingang sicherte, lag tot oder besinnungslos in seinem Häuschen. Holz splitterte, und von weitem konnte Leonard erkennen, dass ein ganzer Trupp Männer mit einer Eisenbahnschwelle als Ramme das hölzerne Eingangstor zum Hauptlager eroberte.
    »Alexej!«, brüllte Leonard so laut, dass ihm beinahe die Stimme versagte. Er ließ Katja stehen und rannte auf die Männer zu.
    »Nicht! Leo! Bleib stehen!«, gellte es hinter ihm her, als er durch die hufeisenförmig angelegten Hallen wie durch einen Kessel lief.
    Alexejs Leute, mindestens fünfzig Mann, kümmerten sich nicht um den brüllenden Deutschen und schon gar nicht um dessen Begleiterin. Zielstrebig, wie
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