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Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Titel: Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
Autoren: Martina André
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weißen Kehrseite um Hilfe |14| bat. Erst danach stieg sie – mit einem Blick des Bedauerns – in ihre langen Unterhosen und schlüpfte anschließend in ihr grobes, geblümtes Wollkleid.
    »Das werde ich nicht zulassen«, stieß Leonard beinahe atemlos hervor, während er, halb in die Daunendecke eingehüllt, auf dem Rand des Sofas kauerte und sie immer noch wie hypnotisiert anstarrte. Katja würde es kaum an williger Kundschaft mangeln, überlegte er aufgebracht. »Notfalls lasse ich mein Abschlusssemester sausen und verlege es aufs nächste Jahr. Mit dem gesparten Geld können wir eine Weile überleben.«
    »Hast du
wir
gesagt?« Katja ließ die Hand, in der sie die Zigarette hielt, sinken und sah ihn ernst an. Dann drückte sie den Stummel in einem herumstehenden Unterteller aus. Es roch verbrannt. Rasch nahm sie die gerösteten Baranki, bevor sie vollends verkohlten, vom Ofen und legte das runde Gebäck mit spitzen Fingern in einen von jeweils zwei Suppentellern, die sie zuvor von einem Wandregal genommen hatte. Dann ergriff sie eine Kelle von einem Wandhaken und rührte solange in der Suppe herum, bis ein paar letzte, feste Brocken an die Oberfläche wirbelten.
    Vorsichtig füllte sie die Teller mit dem dampfenden Sud und stellte sie zum Abkühlen auf der Kommode ab. Mit einem Seufzer setzte sie sich zu Leonard auf die knarrende Bettstatt.
    »Ich liebe dich«, flüsterte sie und nahm sein bärtiges Gesicht zwischen ihre warmen Hände. Sie küsste ihn zärtlich und fuhr danach mit ihren Lippen über seine hellblonden, akkurat getrimmten Kinnhaare. »Ach, Leo, du bist ein echter Nemez«, säuselte sie leise und lächelte verklärt. »Deutsch bis ins Mark. Groß, blond und blauäugig, und wer sich in Not befindet, kann sich hundertprozentig auf dich verlassen.«
    Nach dem spärlichen Frühstück, das aus halb verkohlten Baranki und drei Tage alter Gemüsebrühe bestand, folgte Leonard nur widerwillig Katjas Aufforderung zum Aufbruch, indem er sich ebenfalls anzog.
    »Wir müssen los«, drängte sie. »Alexej wartet auf mich.«
    »Wir sollten hierbleiben und uns im Bett verkriechen, anstatt in diesen Wahnsinn hinauszuziehen«, erwiderte Leonard mit einem bitteren Zug um den Mund, während er seine winterliche Aufmachung mit Galoschen, Mütze und Schal komplettierte. Zögernd griff er nach seinem |15| stinkenden Mantel. Auch schon egal, dachte er. Dort, wo sie hinwollten, war Alkoholgestank das geringste Übel.
    Dann hielt er einen Moment inne, während er in Katjas erwartungsfrohes Gesicht blickte. Ihr weiches, langes Haar hatte sie zu einem Knoten aufgesteckt, und darüber trug sie einen modischen, schwarzen Wollhut, der wie eine längliche Pilzkappe ihr zartes Gesicht umrahmte. Ein Lächeln huschte über Leonards Lippen. Seine Augen glitten über ihre groben Handschuhe und den abgetragenen Pelzmantel. Zu gerne hätte er ihr einen neuen spendiert, doch dafür fehlte ihm leider das Geld.
    »Beinahe hätte ich es vergessen«, sagte er und drehte sich zu seinem Kleiderschrank um. Als er sich ihr erneut zuwandte, hielt er ihr ein braunes, knisterndes Paket entgegen.
    »Für mich?« Erstaunen lag in ihren braunen Augen. »Ich habe doch erst im März Geburtstag.«
    »Ich weiß, solange wollte ich aber nicht warten. Bis dahin könnte es zu spät sein.«
    »Wie meinst du das?« Mit einem verunsicherten Blick öffnete sie das Paket so vorsichtig, als befände sich ein gefährliches Tier darin. In einer Hinsicht behielt sie Recht. Es war ein Tier – doch es konnte sich nicht mehr regen.
    »Ein Handwärmer aus schneeweißem Polarfuchs!« Zärtlich strich Katja über den kostbaren Pelz. Leonard half ihr die glänzende, gedrehte Kordel um den Hals zu legen, an dem der Muff aufgehängt nicht nur für warme Hände sorgte, sondern jedem noch so alten Überkleid eine gewisse Eleganz verlieh.
    »Leonard!« Atemlos fiel sie ihm um den Hals und küsste ihn stürmisch. Er räusperte sich gerührt und entzog sich sanft ihrer Umarmung. Ohne ein Wort wandte sie sich schließlich zur Tür. Ihre Wangen glühten rosig vor Stolz, als sie die engen Stiegen in den eiskalten Flur vorausging.
    Leonard folgte ihr mit einem unguten Gefühl im Bauch. Pater Georgi Gapon, die Galionsfigur des augenblicklichen Widerstandes, hatte zu einer Kundgebung vor dem Winterpalast des Zaren aufgerufen, und so wie es hieß, würden ihm Tausende, wenn vielleicht Hunderttausende folgen. Und Jekatherina Davydova würde eine von ihnen sein. Mit einem leisen Seufzer
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