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Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Titel: Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)
Autoren: Julia Malchow
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VORSPIEL: DIE LETZTEN RUHIGEN TAGE?!?
    Ostgrönland, auf dem Inlandeis, im Juli
Vier Monate vor Levis Geburt
    Ich halte das Satellitentelefon mit beiden Händen fest umschlungen. Markus wirft das Gewehr über seine rechte Schulter.
    Als wir nach fünf sonnigen Tagen und taghellen Nächten im zivilisationslosen Ikertivag am Rande des grönländischen Inlandeises um 16.30 Uhr an der verabredeten Stelle unser letztes aufgewärmtes Trockenessen verspeisen und noch keine Motorengeräusche hören, bleiben wir zunächst entspannt. Als um 17.15 Uhr immer noch kein Ben in Sicht ist, werden wir unsicher. Als sich um 17.30 Uhr der Himmel schwarz färbt und über dem Meer Regen und Sturmwolken aufziehen, zücke ich das Satellitentelefon und wähle Roberts Nummer. Keine Antwort. Meine Unsicherheit wächst. Vielleicht ist er gerade auf der Toilette? Ich wähle erneut. In Tasiilaq, einem 1800-Seelen-Bilderbuchdorf an der Küste Ostgrönlands – rote, blaue und grüne Holzhäuser auf braunen Felsen vor grün-blauem Fjord – antwortet niemand. Mann! Ich wähle erneut. Endlich höre ich Roberts Stimme.
    Robert Peroni hatte mit seiner Durchquerung des grönländischen Inlandeises ohne Hilfsmittel an der breitesten Stelle 1983 Berühmtheit erlangt und weltweit weitere fünfzig Expeditionen geleitet. Nach der Trennung von seiner Frau war er von Südtirol nach Tasiilaq gezogen. Seitdem steht er den wenigen Touristen, die sich in die gewaltige ostgrönländische Stille aus Eis, Fels und Meer verirren, bei der Planung und Durchführung ihres persönlichen – mal kleineren, mal größeren – Expeditionstraums zur Seite. So auch meinem Mann Markus und mir. Dachte ich zumindest.
    »Habt ihr uns vergessen?«, lache ich erleichtert in das Telefon.
    »Scheiße, scheiße, scheiße«, dröhnt es mir entgegen. »Warum seid ihr nicht mit der Gruppe, die heute Morgen zum Kajaken da war, zurückgekommen?«
    Ich muss mich hinsetzen. »Welche Gruppe? Wir waren auf dem Inlandeis unterwegs, weil wir 16 Uhr mit Ben ausgemacht hatten!«, brülle ich zurück. Ich bin stinksauer.
    »Scheiße, scheiße, scheiße«, höre ich wieder.
    »Überleg dir was, ich rufe in zwei Minuten wieder an«, sage ich und lege auf.
    Markus schaut mich halb erwartungsvoll und halb verunsichert an.
    »Die haben uns vergessen«, sage ich ungläubig. Die schwarzen Wolken sind mittlerweile am Eingang unseres Fjordarms angekommen. Ein kalter starker Wind weht um unsere nun weißen Nasen.
    Kurz vor unserem Aufbruch vor fünf Tagen hatte Robert Neuigkeiten von dem vor der Küste kreuzenden Forschungsschiff, der Alfred Wegener , zu berichten gehabt. Die Besatzung hatte Eisbären auf einer Eisscholle gesichtet, die wenige Kilometer von Tasiilaq entfernt in unsere Richtung driftete. Kommentarlos hatte Robert Markus und mich daraufhin in das Schießen mit einer oldshatterhandigen Blechbüchse eingewiesen und uns erklärt, dass Eisbären die Angewohnheit pflegen, ihre Beute mehrere Tage lang zu umkreisen. Uns würde also genügend Zeit bleiben, um per Satellitentelefon das Boot für einen unblutigen Rückzug zu bestellen.
    Nach einem erfolglosen Test des Satellitentelefons hatte Robert gemeint, dass es auch ohne ginge, da Eisbären in der Regel den Kontakt zu Menschen mieden. Entgegen meiner sonstigen Gelassenheit auf Reisen hatte ich auf einem Ersatzgerät bestanden, das beim Wählen der Büronummer auch tatsächlich das Telefon auf Roberts Schreibtisch zum Klingeln gebracht hatte.
    Eingemummelt in Skiunterwäsche, wärmendes Fleece und wind- und wasserabweisende Apexhosen und -jacken, hatte uns Ben wenig später in einem Speedboot in weit geschwungenen Kurven vorbei an Eisbergformationen chauffiert, die an riesige Mäuse, senkrecht aus dem Wasser herausspringende Wale oder in Schräglage geratene Hochhäuser erinnerten. Manchmal war das Blau des Meeres komplett verdeckt von riesigen weißen Eispuzzleteilen. Immer wieder hatten wir keine 50 Meter von unserem Boot entfernt Wale ausmachen können. Dann hatte Ben den ruppigen Flug des Bootes über das Eismeer für einige wunderbare stille Momente mit den Riesensäugern unterbrochen. Einmal bildete ich mir ein, dass einer der Wale meinen Blick erwiderte. Bestimmt ein gutes Zeichen, dachte ich, und eine warme Welle wogte durch meinen trotz mehrerer Kleidungsschichten frierenden Körper.
    Nach zwei Stunden waren wir in Ikertivag gelandet, am Rand des grönländischen Inlandeises. Sorgfältig hatten wir unter Bens wachsamen Augen unsere von
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