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Schachfigur im Zeitspiel

Schachfigur im Zeitspiel

Titel: Schachfigur im Zeitspiel
Autoren: Philip K. Dick
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eine Folge von Schnellfeuerbeschuldigungen aus. Manche dieser Worte – zu viele – waren unverständlich. Schließlich begann er, das Sprachmuster zu begreifen. Und daraus ergab sich folgendes: die Erkenntnis, daß der Junge, nachdem er ihn jetzt zum erstenmal deutlich sah, von Abneigung und Abscheu überwältigt war. Die Anschuldigungen ergossen sich in einer fast hysterischen Tirade über Parsons, der hilflos dasaß. Und draußen vor dem Wagen hatte sich eine Gruppe von Leuten versammelt, um zuzuhören.
    Die Tür auf Parsons Wagenseite glitt auf; der Junge hatte ruckartig einen Knopf der Kontrolltafel berührt. Ich werde hinausgeworfen, begriff Parsons. Er protestierte, versuchte noch einmal, die Tirade zu unterbrechen.
    »Sieh mal«, begann er. An dieser Stelle brach er ab. Die Gesichter der Leute, die außerhalb des Wagens auf dem Pflaster standen und ihn erblickt hatten, zeigten denselben Ausdruck. Das gleiche Entsetzen, die gleiche Bestürzung, den gleichen Ekel wie der Junge. Die Leute murmelten, und er sah eine Frau ihre Hand heben und denjenigen weiter hinten, die nicht genug sehen konnten, etwas zeigen. Die Frau zeigte auf ihr eigenes Gesicht.
    Meine weiße Haut! stellte Parsons fest.
    »Hier willst du mich hinauswerfen?« sagte er zu dem Jungen und wies auf die murmelnde Menge.
    Der Junge zögerte. Selbst wenn er Parsons Worte nicht ganz verstand, so konnte er doch ihre Bedeutung erraten. Feindseligkeit beherrschte die Menge, die jetzt näher herandrängelte, um einen besseren Blick auf Parsons werfen zu können, und der Junge sah das. Sowohl er als auch Parsons hörten die ärgerlichen Stimmen und sahen die eindeutig feindseligen Bewegungen.
    Mit einem Schwirren glitt die Tür neben Parsons zu. Sie schloß sich, und er saß noch immer im Innern des Wagens. Der Junge beugte sich vor, übernahm die Steuerung des Wagens und beschleunigte rasch.
    »Danke«, sagte Parsons.
    Ohne ihm zu antworten oder ihn auch nur zu beachten, ließ der Junge den Wagen Geschwindigkeit aufnehmen. Jetzt hatten sie eine steile Rampe erreicht, der Wagen schoß hinauf und raste dann eine gerade Strecke entlang. Parsons blickte hinaus, und währenddessen verlangsamte der Junge den Wagen bis fast zum Stillstand. Links von ihnen entdeckte Parsons eine weniger erhellte Allee. Der Wagen glitt darauf zu und kam im Halbschatten zur Ruhe. Die Bauten hier wirkten ärmlicher, weniger verzerrt. Und es waren weit und breit keine Leute zu sehen.
    Wieder glitt die Tür auf.
    Parsons sagte: »Ich bin dir dankbar dafür.«
    Wacklig stieg er aus.
    Der Junge schloß die Tür, und dann schoß der Wagen davon und außer Sicht. Parsons war allein. Er versuchte noch immer, eine Erklärung zu finden oder eine Frage zu stellen – er wußte nur nicht, welche. Plötzlich tauchte der Wagen wieder auf: Ohne zu verlangsamen zischte er an ihm vorbei, blies ihm seinen heißen Auspuff-Atem entgegen. Er warf sich taumelnd nach hinten, damit er den glänzenden Lichtern entging. Etwas flog aus dem Wagen heraus und knallte vor Parsons Füße.
    Sein Instrumentenkoffer. Er hatte ihn im Wagen zurückgelassen.
    Er setzte sich in den Schatten, öffnete seinen Instrumentenkoffer und inspizierte den Inhalt. Gott sei Dank schien nichts zerbrochen oder beschädigt zu sein.
    Gnädigerweise hatte ihn der Junge in einem Lagerhausviertel aussteigen lassen. Die Gebäude waren von massiver Beschaffenheit, mit gewaltigen Doppeltüren versehen, die offensichtlich nicht für den menschlichen Gebrauch, sondern für irgendwelche übergroßen Fahrzeuge gedacht waren. Und auf dem Pflaster ringsum sah er die undeutlichen Konturen von Abfällen.
    Er hob ein Stück beschriebenes Papier auf. Offenbar ein politisches Pamphlet, das jemanden oder eine Partei anprangerte. Hier und dort erkannte er einige Worte – der Satzbau schien ziemlich einfach zu sein, die Sprache war flektiert, etwa wie Spanisch oder Italienisch, nicht distributiv, jedoch mit gelegentlichen englischen Worten. Sie geschrieben zu sehen, erleichterte ihm das Problem, sie zu verstehen, nicht sonderlich. Er erinnerte sich an die medizinischen Texte in Russisch und Chinesisch, die für ihn zur Pflichtlektüre gehörten, an die zweimal monatlich erscheinende Zeitschrift mit Zusammenfassungen in sechs Sprachen. Das gehörte zu dem Job, Mediziner zu sein. An der Universität von La Jolla hatte er nicht nur Deutsch, Russisch und Chinesisch lesen müssen, sondern auch Französisch – eine Sprache, die heutzutage keine große
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