Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schachfigur im Zeitspiel

Schachfigur im Zeitspiel

Titel: Schachfigur im Zeitspiel
Autoren: Philip K. Dick
Vom Netzwerk:
vertraut, so doch zumindest nicht fremd. Sie hatte einen verblüffend natürlichen Klang, wie etwas, das man beinahe, aber nicht ganz verstand.
    »Was?« fragte er.
    Der Junge formulierte seine Frage genauer. »Ye kleidis novae en sagis novate. Whur iccidi hist?«
    Jetzt begann er die Tendenz zu erkennen. Wie der rassische Typ war auch die Sprache polyglott. Offensichtlich basierte sie auf Latein, möglicherweise war sie eine künstliche Sprache, eine lingua franca, zusammengesetzt aus jenen Bröckchen, die am meisten verbreitet waren. Als Parsons über die Worte nachdachte, kam er zu dem Schluß, daß der Junge wissen wollte, warum er so spät noch unterwegs war und weshalb er sich so eigenartig kleidete. Und warum er so sprach, wie er es tat. Aber im Moment war er wenig geneigt, Antworten zu geben, sondern hatte seinerseits Fragen.
    »Ich möchte wissen«, sagte er langsam und bedächtig, »warum du versucht hast, mich zu überfahren.«
    Der Junge blinzelte und sagte stockend: »Whur ik …« Seine Stimme versiegte. Offensichtlich verstand er Parsons Worte nicht.
    Oder war es so, daß die Worte verstanden wurden, die Frage jedoch unverständlich war? Mit einem weiteren Frösteln dachte Parsons, daß das Verhalten des Jungen möglicherweise eine Selbstverständlichkeit gewesen war. Etwas Alltägliches. Natürlich hat er versucht, mich zu töten. Macht das nicht jeder?
    Er empfand ein durchdringendes Wiederaufleben der Bestürzung und machte sich daran, die Sprachbarriere zu knacken. Ich werde mich verständlich machen müssen, begriff er. Und zwar sofort.
    Zu dem Jungen sagte er: »Sprich weiter.« »Sag?« wiederholte der Junge. » Ik sag yer, ye meinst?« Parsons nickte. »Das stimmt«, sagte er. »Du hast es kapiert.« Wir machen Fortschritte, dachte er verbissen. Und er versteifte sich, weil er so sorgfältig wie nur möglich zuhören wollte, als der Junge stockend weiterplapperte. Wir machen Fortschritte, aber ich wüßte gern, ob die Zeit noch reicht.
     
    Ein breiter Brückenbogen trug den Wagen über eine Art Kanal, der die Stadt umgab, ein rein ornamentaler Stadtgraben, dem kurzen Blick zufolge, den Parsons darauf werfen konnte. Immer mehr Wagen wurden sichtbar, die sich sehr langsam bewegten, und jetzt auch Leute, die zu Fuß unterwegs waren. Er entdeckte Menschenmassen, die sich auf Rampen bewegten, die Türme betraten und verließen, sich auf Bürgersteigen entlangschoben. Alle Leute, die er sah, schienen jung zu sein. Wie der Kleine neben ihm. Und auch sie hatten die dunkle Haut, die flachen Wangenknochen und trugen dieselben Kleidungsstücke. Er sah eine Vielzahl von Emblemen. Tier-, Fisch- und Vogelwappen.
    Warum? Eine in Totem-Stämmen organisierte Gesellschaft? Oder verschiedene Rassen? Oder war dort ein Fest im Gange? Aber sie waren sich physisch gleich. Das ließ ihn die Theorie verwerfen, ein jedes Emblem stehe für eine andere Rasse. Eine willkürliche Einteilung der Bevölkerung?
    Spiele?
    Alle trugen ihr Haar lang, geflochten und hinten zusammengebunden, Männer wie auch Frauen. Die Männer waren erheblich größer als die Frauen. Sie hatten strenge Nasen und Kinnpartien. Die Frauen eilten lachend und schwatzend dahin, mit strahlenden Augen, die Lippen feucht schimmernd, glänzend, ungewöhnlich voll. Aber so jung – fast Kinder. Fröhliche, lachende Jungen und Mädchen. An einer Kreuzung strahlte eine Hängelampe das erste richtige weiße Licht aus, das er bisher in dieser Welt gesehen hatte, und in diesem reinen Glanz sah er, daß sowohl die Lippen der Männer wie auch die der Frauen eine schwarze Farbe hatten, daß sie überhaupt nicht rot waren. Es liegt nicht am Licht, stellte er fest. Vielleicht eine Färbung? Mary ist auch immer mit diesen modischen Haarfärbungen angekommen …
    In diesem ersten wirklich enthüllenden Licht starrte ihn der Junge neben ihm mit einem neuen Ausdruck an. Er hatte den Wagen angehalten.
    »Ach«, keuchte der Junge. Der Ausdruck auf seinem Gesicht wurde eindeutig. Er wich zurück, kauerte sich gegen die andere Wagentür. »Ye …« Er stammelte, suchte nach Worten und platzte schließlich würgend und so laut hervor, daß mehrere Passanten aufblickten: »Yer bist krank!«
    Dieses Wort war ein Überbleibsel von Parsons Sprache: Es konnte nicht mißverstanden werden. Der Tonfall selbst und die Miene des Jungen beseitigten jeden Zweifel.
    »Wieso krank?« antwortete Parsons gereizt und abwehrend. »Ich kann dir versichern …«
    Der Junge unterbrach ihn, spie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher