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Schachfigur im Zeitspiel

Schachfigur im Zeitspiel

Titel: Schachfigur im Zeitspiel
Autoren: Philip K. Dick
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Schließlich zu seiner Frau zurückkehren, natürlich. Ja, dachte er, das hier würde Mary gefallen. Vielleicht gelang es ihm, die Kräfte, die ihn hierherbefördert hatten, wiederzuverwenden, dann konnte er sich mit seiner Familie in dieser Stadt niederlassen …
    Parsons ergriff seinen grauen Metallkoffer fester und beeilte sich. Während er atemlos die Straße hinuntereilte, löste sich ein stummer Farbtropfen von dem Band unter ihm, stieg auf, kam direkt auf ihn zu. Ohne Zögern glitt das Ding in seine Richtung. Er hatte nur noch Zeit zu erstarren: Die Farbe raste auf ihn zu – und ihm wurde klar, daß sie nicht vorhatte auszuweichen.
    »Halt!« brüllte er. Seine Arme kamen reflexartig hoch, er winkte der aufsprießenden Farbe wie von Sinnen zu, und das Ding war jetzt so nahe, daß es sein Blickfeld ausfüllte und ihn blendete.
    Es huschte an ihm vorbei, und als er von dem heißen Wind umweht wurde, sah er ein Gesicht, das ihn anblickte. Mit gemischten Empfindungen anblickte. Mit Vergnügen – und Erstaunen!
    Parsons hatte eine Eingebung. Schwer zu glauben, aber er hatte es mit eigenen Augen gesehen. Der Fahrer des Vehikels war überrascht, und zwar von seiner Reaktion darauf, überfahren und getötet werden zu können.
    Jetzt kehrte das Fahrzeug zurück, dieses Mal langsamer, wobei der Fahrer seinen Kopf herausstreckte und Parsons anstarrte. Das Fahrzeug rollte neben ihm aus, der Motor summte leise.
    »Hin?« sagte der Fahrer.
    Närrischerweise dachte Parsons: Dabei hatte ich nicht einmal meinen Daumen draußen. Laut sagte er: »He, Sie haben versucht, mich über den Haufen zu fahren.« Seine Stimme bebte.
    Der Fahrer runzelte die Stirn. In den wechselnden Farben wirkte sein Gesicht erst dunkelblau, dann orangefarben. Die Lichter blendeten Parsons, deshalb schloß er kurz die Augen. Der Bursche hinter dem Steuer war erstaunlich jung. Ein Jugendlicher, kaum mehr als ein Junge. Es kam ihm wie ein Traum vor, daß dieser Junge, der ihn nie zuvor gesehen hatte, versucht hatte, ihn zu überfahren, und ihm nun anbot, ihn mitzunehmen.
    Die Tür des Fahrzeugs glitt zurück. »Hin«, wiederholte der Junge, allerdings nicht mit befehlender Stimme, sondern ausgesprochen höflich.
    Schließlich, fast in einem Reflex, stieg Parsons zittrig ein. Die Tür schnappte zu, und der Wagen zog mit einem Ruck an. Parsons wurde von der Beschleunigung in den Sitz gepreßt.
    Neben ihm sagte der Junge etwas, doch Parsons konnte es nicht verstehen. Sein Tonfall ließ vermuten, daß er noch immer erstaunt, noch immer verwundert war und sich entschuldigen wollte. Und der Junge starrte Parsons weiterhin an.
    Es war kein Spiel gewesen, erkannte Parsons. Dieser Bursche hatte wirklich vorgehabt, mich zu überfahren, mich zu töten. Wenn ich nicht mit den Armen gewinkt hätte …
    Aber weil ich gewinkt habe, hat der Junge angehalten.
    Er dachte, ich wollte überfahren werden!

 
2
     
    Der Junge neben ihm fuhr mit unbekümmerter Zuversicht. Jetzt hätte sich der Wagen der Stadt zugewandt, der Junge lehnte sich zurück und gab die Kontrollen frei. Seine Neugier in bezug auf Parsons wurde deutlich stärker. Er drehte seinen Sitz so, daß er Parsons ansehen konnte, und betrachtete ihn eingehend. Und er griff nach oben und knipste eine Innenbeleuchtung an, damit sie beide besser sehen konnten.
    In diesem Licht konnte Parsons den Jungen zum erstenmal richtig sehen. Und was er sah, erschütterte ihn.
    Dunkles Haar, glänzend und lang. Kaffeefarbene Haut. Flache, breite Wangenknochen. Mandelaugen, die im reflektierten Licht feucht glänzten. Eine vorstehende Nase. Römisch?
    Nein, dachte Parsons. Fast hethisch. Und sein schwarzes Haar … Der Kleine war bestimmt vielrassig. Die Wangenknochen wiesen auf eine mongolische Abstammung hin. Die Augen waren mediterran. Das Haar war möglicherweise negroid. Die Hautfarbe zeigte einen vagen Unterschimmer von rötlichem Braun. Polynesisch?
    Auf dem Hemd des Jungen – er trug dunkelrote Kleidung, die aus zwei Teilen bestand, und Slipper – zog eine Art Wappen mit Tierbildern und Schrift Parsons Aufmerksamkeit an. Da war zum Beispiel ein stilisierter Adler.
    Adler. Adl. Und die anderen? Irs stand für Hirsch. Bar war Bär. Den Rest konnte er nicht erraten. Was bedeutete diese Tier-Nomenklatur? Er setzte an zu sprechen, aber der Junge kam ihm zuvor.
    »Whur venis a tardus?« fragte mit einer noch nicht völlig erwachsen klingenden Stimme.
    Parsons verschlug es den Atem. Diese Sprache war ihm, wenn auch nicht
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