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Live Fast, Play Dirty, Get Naked

Titel: Live Fast, Play Dirty, Get Naked
Autoren: Kevin Brooks
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    Als ich im Herbst 1970 auf die Mansfield Heath School kam, kannte ich Curtis Ray nicht persönlich, ich wusste nur, wer er war. Jeder wusste, wer er war; Curtis war einfach so ein Typ, den alle kennen. Obwohl damals erst zwölf – ein Jahr älter als ich –, galt er schon da als jemand, der anders war. Er war Curtis Ray, der mit den langen blonden Haaren aus der zweiten Jahrgangsstufe, der hippe Typ mit der provozierenden Ausstrahlung, der Surf Beads, Ohrringe und eine schwarze Lederjacke trug, der Junge, der E-Gitarre spielte. Er war ein Typ, den man entweder liebte oder hasste – und ich glaube, selbst die, die behaupteten, ihn zu hassen, waren insgeheim ein bisschen in ihn verknallt; nicht bloß die Mädchen, sondern auch die Jungen.
    Weil er ein Jahr älter war und zu der Zeit außerdem Lichtjahre von meinem sozialen Umfeld entfernt, gab es für mich keinen Zweifel, dass er von meiner Existenz nichts wissen konnte. Ich dagegen wusste, dass er existierte. Ich sah ihn fast jeden Tag im Vorbeigehen. Aber das war auch alles, was er je für mich sein konnte: eine Gestalt, die auf den Schulfluren an mir vorbeiging, ein ehrfürchtig geflüsterter Name – »schau, da ist Curtis Ray« –, ein Junge von einem anderen Stern.
    Egal, wie oft ich von ihm träumte – und ich gebe ja zu, dass ich sehr wohl von ihm träumte –, wusste ich dochimmer, es waren nur Träume. Er war wirklich von einem anderen Stern. Er war cool, er war hip, er war aufsässig anders. Ich war nur anders. Er sah so gut aus, dass ihm selbst Mädchen, die seine langen Haare und seine verrückte, schräge Musik hassten, nicht widerstehen konnten. Ich dagegen fiel in die Rubrik: »Sieht ganz okay aus, wenn man auf die Art steht.« Und während Curtis genau zu wissen schien, wer er war und was er sein wollte, verbrachte ich meine ersten Teeniejahre in einem Zustand ewiger Unsicherheit. Mir fehlte nicht nur Selbstvertrauen, sondern auch der Glaube daran, dass die Welt um mich herum irgendeinen Sinn ergab. Ich begriff einfach nicht, was das Ganze sollte, wozu es gut war, welche Absicht dahintersteckte …
    Alles in allem war ich ein ziemlich unsicheres Mädchen. Und auch wenn die Freundinnen, die Curtis im Lauf der Zeit hatte, sowohl zahlreich als auch ganz unterschiedlich in Alter, Typ und Charakter waren, hatten sie doch – abgesehen davon, dass sie alle schön und sexy aussahen – eines gemeinsam: die Nichtexistenz jeglicher Unsicherheit. Deshalb gab es einfach keinen Grund zu glauben, dass Curtis Ray für mich je mehr als ein Traum sein könnte.
    Doch an einem strahlend blauen Sommertag in der ersten Juliwoche des Jahres 1975 wurde mein Traum plötzlich Wirklichkeit.
    Seit meinem fünften Lebensjahr, als meine Mum mich zu meiner ersten Unterrichtsstunde brachte, hatte ich Klavier gespielt. Mum hatte selbst immer Klavier spielen wollen, behauptete sie jedenfalls, und es grämte sie sehr, dass sie es als Kind nicht gelernt hatte.
    »Ist doch noch nicht zu spät«, sagte ich jedes Mal. »Also, ich meine, man kann doch nicht bloß als Kind Klavierspielen lernen.«
    »Es hat mit meinen Fingern zu tun«, sagte sie dann immer. »Sie sind nicht mehr geschmeidig genug.« Oder: »Du weißt doch, was ich für Kopfschmerzen habe, Schatz … ich könnte mich gar nicht darauf konzentrieren.«
    Ich glaube, in Wirklichkeit wollte sie es deshalb nicht lernen, weil sie wusste, Klavierspielen bedeutet Arbeit und Hingabe. Und von ihren Süchten einmal abgesehen gab sich meine Mutter nur einem hin: Sie vermied konsequent alles, was mit harter Arbeit verbunden war. Dennoch beharrte sie mit großer Freude darauf, dass ich lange und hart am Klavier übte … und das tat ich. Doch für mich war es keine harte Arbeit, denn es machte mir Spaß. Von der ersten Stunde an, als ich fünf war, liebte ich alles daran – die Musik, den Zauber, die wunderbare Welt aus Klängen und Liedern … Melodien, Töne, Strukturen, Rhythmen … alles erschien mir so spannend. Außerdem war ich wirklich gut am Klavier. Kein Wunderkind oder so, aber es ging mir ganz natürlich von der Hand, und mit acht oder neun war ich schon ziemlich weit. Zu meinem zehnten Geburtstag bekam ich mein eigenes Instrument – ein wirklich schönes Bechstein-Klavier, auf dem ich noch heute viel spiele – und ich nahm weiter Unterricht, belegte auch in der Schule Klavier und übte unentwegt, bis ich fast siebzehn war. Genau das tat ich auch an dem heißen Sommertag 1975: Ich übte im Musikraum der Schule eines
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