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Sayuri

Sayuri

Titel: Sayuri
Autoren: Carina Bargmann
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würde er einen der Zinadenwächter als Zeugen hinzuziehen und sie würde im Gefängnis auf ihre Anhörung warten. Damit hätte sich die Sache für ihn wahrscheinlich erledigt.
    Was also ließ ihn zögern?
    Sein Blick traf wieder den Katzenblick des Mädchens und ihm fielen die goldgelben Sprenkel in ihren grünen Augen auf. Ihr rechtes Auge hatte drei, während die linke Pupille von fünf gelben Flecken umgeben war. Jetzt verengten sich ihre Augen misstrauisch und eine steile Falte entstand auf der blassen Stirn.
    »Was hast du vor?« Ihre Stimme klang jetzt nicht mehr so herausfordernd, obwohl sie sichtlich darum bemüht war, ihre Angst nicht offen zu zeigen.
    Unentschlossen blickte er die Straße hinab. »Komm mit«, sagte er und zog sie auf die Straße ins Mondlicht. Mit einer Hand hielt er noch immer ihr Handgelenk umschlossen, sodass sie gezwungen war, ihm zu folgen. Er konnte spüren, dass sie zitterte, und ein Seitenblick auf sie ließ ihn feststellen, dass sie erschöpfter war, als er bisher angenommen hatte. Wie eine gefährliche Diebin wirkte sie bestimmt nicht. Als er an ihre Strafe dachte, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Selbst wenn das Palastgericht Milde walten ließ, würde sie doch zumindest als Diebin gekennzeichnet werden – und das bedeutete, dass sie eine Hand verlieren würde.
    Das Mädchen schien die gleichen Gedanken zu haben. Abrupt blieb sie stehen.
    »Wenn du Ärger machst, wird dir das am Ende nur leidtun«, warnte er sie.
    »Ach ja?« Sie versuchte freizukommen, doch Kiyoshi war stärker. »Ja«, bekräftigte er. Ihr Handgelenk war schlank, die Haut fühlte sich ganz glatt an.
    »Was glaubst du eigentlich, wer du bist?«
    »Ein Soldat der Stadtwache?«, schlug er vor und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
    »Ach ja?«, spottete sie. »Wie nennt ihr euch noch? Die Beschützer dieser Stadt? Ihr helft den armen Bürgern und sorgt für Recht und Ordnung? Fragt sich nur, wessen Recht und wessen Ordnung!« Ihre funkelnden Augen durchbohrten ihn förmlich. Ihre Angst schien auf einmal grenzenlosem Zorn zu weichen.
    »Das Recht des Kaisers, das die Bürger der Stadt schützt«, gab er zur Antwort.
    »Aber uns schützt ihr nicht! Uns Taller lasst ihr verrecken! Was kümmert es euch schon, wie es den Armen dort draußen geht!« Ihre Stimme wurde mit jedem Wort höher und lauter.
    »Willst du, dass die Zinadenwächter dich hören?«, fuhr er sie an. »Die Söldner brechen dir alle Knochen einzeln, bevor sie auch nur überlegen, dich der Wache zu übergeben!«
    Sie schien ihn gar nicht verstanden zu haben. Mit aller Kraft versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien.»Seid ihr denn besser als diese Söldner? Ihr nehmt euch doch gegenseitig nichts!«
    »Nun mal langsam ...«, begann er, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. Offenbar hatte sie völlig vergessen, in welcher Situation sie war und vor wem sie stand.
    »Ihr nehmt uns all unsere Rechte«, sprudelte es aus ihr heraus, »sperrt uns in Viertel ein und dreht die Wasserleitungen zu, sodass wir elendig verdursten! Wenn es nach euch ginge …«
    »Keiner von uns will irgendjemanden aus den Vierteln des äußeren Kreises tot sehen!«, protestierte Kiyoshi scharf.
    Tränen stiegen in die Augen des Mädchens. »Und dennoch tut ihr nichts dagegen!«
    Plötzlich blitzte die Klinge eines Messers in ihrer freien Hand auf. Kiyoshi hob den Arm, um den Angriff abzuwehren. Die Klinge streifte seine Rüstung und glitt an ihr ab. Er hob die Hand, wollte die Waffe packen. Doch in dem Moment riss sie das Messer noch einmal nach oben und rammte es ihm zwischen den Lederplatten seiner Uniform in die Seite.
    Einen Augenblick lang spürte er keinen Schmerz, nur Verwunderung. Das Mädchen erwiderte seinen Blick mit fast der gleichen Verblüffung.
    Langsam, wie in Trance, löste sie sich aus seinem Griff, zog das Messer aus der Wunde und im selben Moment durchflutete ihn ein Schmerz in einer Intensität, wie er ihn noch nie erlebt hatte. Keuchend geriet er ins Taumeln und streckte eine Hand aus, um sich an einer Gartenmauer abzufangen …
    Das Mädchen wich vor ihm zurück, starrte auf seine mit Blut befleckte Klinge und rannte schließlich die Straße hinab.
    »Warte!« Seine Stimme klang nicht halb so entschlossen, wie er es sich wünschte. Eine Hand auf die Wunde gepresst, stolperte er einige Schritte hinter ihr her.
    Noch einmal blickte sie über ihre Schulter auf ihn, dann wirbelte sie herum und rannte davon.
    Kiyoshi blieb stehen
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