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Sayuri

Sayuri

Titel: Sayuri
Autoren: Carina Bargmann
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und lehnte sich schwer gegen die Mauer. Schmerzen brannten in seiner Seite, sie durchzogen seinen Körper wie flüssiges Feuer. Während er stöhnend die Hand auf die Wunde presste, um die Blutung zu stillen, ging er in die Knie.
    Die filigrane Brücke wölbte sich über der unendlichen Wasseroberfläche. Milans Gestalt am anderen Ende wurde immer kleiner.
    »Warte auf mich«, keuchte Marje, doch Milan drehte sich nicht zu ihr um. Er schien sie nicht mal gehört zu haben. Atemlos trat sie auf die Brücke. Sie musste ihm hinterher, musste ihre Angst überwinden. Doch in diesem Moment fiel ihr Blick auf ihre Hände.
    Sie waren tiefrot.
    Dunkles Blut klebte an ihnen, breitete sich weiter aus und rann über ihre Arme. Überall war es jetzt – in dicken, schweren Tropfen fiel es auf die gläserne Brücke.
    Und dort, wo das Blut auf Glas traf, ertönte ein Knirschen. Wie Säure fraß es sich durch das Glas.
    Schon zog sich ein Sprung quer über die zerbrechlichen Streben!
    Marjes Blick raste zurück. Doch hinter ihr war keine Tür mehr. Stattdessen spannte sich die Brücke weiter – über die tiefdunkle Fläche des Wassers. Und an ihrem anderen Ende stand der Soldat der Stadtwache. Er hatte die Hand auf die Seite gepresst und schaute sie voll Verwunderung an.
    Wieder dieses entsetzliche Knirschen!
    Marje drehte sich um und rannte. Sie rannte so schnell wie noch nie in ihrem Leben, aber die Brücke schien sich immer mehr in die Länge zu strecken und plötzlich glitten ihre Füße ins Leere, fanden keinen Boden mehr, sie stürzte – und dann brach mit einem lauten Klirren das Glas unter ihr und sie fiel und fiel und …
    »Marje! Marje, wach auf!«
    Mit einem Ruck saß sie aufrecht auf ihrem Lager, hörte ihren eigenen keuchenden Atem. Schweißnass klebte das Hemd an ihrem Körper.
    Panisch sah sie sich um und brauchte einen Moment, um zu begreifen, wo sie sich befand. Der Raum mit der Dachschräge war klein und mit einem Vorhang abgetrennt.
    Sie war in Sicherheit. Sie war in Thars Wohnung.
    Shios sanftes Licht schimmerte in ihrem Schoß.
    Thar ließ sich neben ihr auf das Bett fallen. »Du hast im Traum geschrien«, erklärte er und musterte sie besorgt. »Außerdem lässt Tshanil dich grüßen.« Er deutete zu den Vorhängen. Durch den gelben Stoff leuchtete die Sonne und verbreitete ein warmes goldenes Licht.
    Marje sah sich in dem Lager um. Die Decken, in die sie sich gewickelt hatte, um sich vor der Kälte der Nacht zu schützen, waren zerwühlt, als hätte sie im Schlaf um sich getreten und geschlagen. Ihr Blick schweifte zur schrägen Zimmerdecke hinauf. An einigen Stellen hatte Thar Stofffetzen und Tücher vor die Löcher gespannt, die der Wind ins Dach gerissen hatte.
    Sie ließ sich zurückfallen und schloss für einen Moment die Augen. Langsam ließen sie die entsetzlichen Traumbilder los. Stattdessen kam die Erinnerung an die letzte Nacht zurück und das war auch nicht viel besser.
    Was hatte sie getan! Sie hatte einen Soldaten der Palastwache angegriffen! Womöglich schwer verletzt! Ein eisiger Schauer überlief sie.
    Sie wusste noch, wie sie einfach losgerannt war, hinunter zum Fluss, wo Thar im Boot schon ungeduldig auf sie gewartet hatte. Die Erleichterung in seinem Blick war purem Entsetzen gewichen, als er das Blut auf ihrem Mantel erblickte. Schnell hatte sie sich ins Boot fallen und von ihm bis zum Tor rudern lassen, wo sie über eine Mauer geklettert waren. Wie eine Schlafwandlerin war sie hinter Thar hergelaufen, quer durch das Westviertel waren sie geschlichen, vorbei an den Wachen, die in ihren Häuschen saßen und über ihre eigenen Witze lachten, um während der langen Nacht nicht einzuschlafen. Es war ein Wunder, dass sie nicht erwischt worden waren. Mehr als einmal war Marje gestolpert, hatte einen Wassereimer umgerissen, der scheppernd die Straße hinabrollte, oder eine Katze aufgeschreckt, die laut fauchend die Flucht ergriffen hatte. Als sie endlich in Thars Dachstuhlwohnung angekommen waren, hatte sie sich nur noch ins Bett fallen lassen und sich gewünscht, in einen tiefen, traumlosen Schlaf zu fallen.
    So viel dazu.
    Jedes Detail der letzten Nacht konnte sie sich vor Augen rufen, den ungläubigen Blick des Soldaten, der sich beim Anblick der Wunde in Entsetzen verwandelte, sein Lächeln, als er sie noch für die Tochter eines reichen Händlers gehalten hatte. Er hatte ihr sogar seine Hilfe angeboten!
    »Was ist denn nun gestern passiert?«, fragte Thar und musterte sie neugierig. Er
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