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Sayuri

Sayuri

Titel: Sayuri
Autoren: Carina Bargmann
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nicht den Regeln, aber Kiyoshi hatte schon oft ein Auge zugedrückt, wenn es darum ging, dass jemand seinen Passierschein vergessen hatte, auf dem Name und Adresse standen. Der Schein war Voraussetzung dafür, dass ein Bürger sich nach Torschluss auf den Straßen seines Viertels bewegen durfte.
    Das Mädchen schüttelte stumm den Kopf. Ihr Blick war auf ihre Füße gerichtet.
    »Soldat!« Der Ruf erklang von der Zinade aus.
    Kiyoshi zog die Stirn in Falten. Die Zinadenwächter waren Söldner, von den reichen Eigentümern angeheuert, und verstanden sich nicht sonderlich gut mit den Stadtwachen des Kaisers.
    Kiyoshi spürte eine hastige Bewegung, einen Luftzug. Vor seinen Augen machte das Mädchen auf dem Absatz kehrt und rannte davon.
    »Haltet sie! Haltet die Diebin! Sie hat uns bestohlen!«, schrie ein Wächter.
    Diebin? Kiyoshi zögerte einen Moment, doch dann setzte er sich in Bewegung. Es war ein Kinderspiel, sie einzuholen. Sie humpelte und musste sich an den Zäunen abstützen, um nicht zu stürzen. Dennoch schaffte sie es um die nächste Wegbiegung zum Fluss, bevor er endlich ihren Arm packen konnte.
    »Diebin?«, wiederholte er ein wenig ungläubig. Das Mädchen sah zwar durchaus so aus, als wollte es kein Aufsehen erregen, aber darauf wäre er im Leben nicht gekommen.
    »Lasst mich los!«, fauchte sie ihn jetzt an und riss an ihrem Arm. Ihre Augen blitzten in Turus Licht dunkelgrün auf.
    Er griff nach ihrer zweiten Hand und hielt sie fest. In seinem Kopf jagte ein Gedanke den nächsten. Eine Diebin in der Zinade … Aber was sollte sie dort gestohlen haben? Es gab in Zinaden nichts Kostbares, nichts außer … Wasser.
    Plötzlich traf ihn die Erkenntnis mit voller Wucht. Sie konnte nur die Leitungen geöffnet haben, die in die Viertel der Taller führten! Diese Zinade speiste nicht die Leitungen, die in die Ödnis hinaus zu den Bauern führten, sondern nur die nächsten drei Viertel des äußersten Kreises.
    Sie war vermutlich gar keine Liganerin! Sie musste Komplizen haben, jemand, der das Wasser im Viertel auffing … nein, dazu brauchte es mehr als einen … dazu brauchte es vielleicht Hunderte von Menschen.
    Rufe kamen näher, Befehle erschallten. »Teilt euch auf. Weit kann sie nicht sein!« Gleich darauf näherten sich hastige Schritte.
    Kiyoshi blickte sich um. Noch war die Straße menschenleer, aber jeden Moment konnten die Wächter um die Ecke biegen. Sie standen im Schatten einer Mauer, über die ein buschiges Gewächs seine Äste streckte. Kiyoshi entdeckte eine Nische, halb verborgen von den Zweigen. Ohne weiter nachzudenken, zog er das Mädchen tiefer in den Schatten. Sie folgte ihm, ohne zu zögern.
    Die Schritte wurden lauter. Da – ein Zinadenwächter! Das Mädchen duckte sich unwillkürlich. Kiyoshi hielt den Atem an.
    Aber der Mann lief vorbei. Offenbar gingen die Söldner davon aus, dass das Mädchen sich nicht verstecken, sondern fliehen würde. Noch immer hielt er das Mädchen fest und in diesem Moment wurde ihm klar, was er hier eigentlich tat. Habe ich gerade eine Diebin vor ihren Verfolgern gerettet? Während meines Wachdiensts? Die Tatsache, dass er als Soldat des Kaisers auf Patrouille war, war vielleicht auch nicht ganz von der Hand zu weisen.
    Er holte tief Luft. »Sie haben recht, oder?«, fragte er. »Du bist eine Diebin.«
    Das Mädchen funkelte ihn zornig an. »Na und?«, knurrte sie. »Festgenommen hast du mich ja bereits – und auch ohne Geständnis hattet ihr bisher nie Skrupel, jemanden zu verurteilen!«
    Kiyoshi zuckte mit den Schultern. »Ich habe dich lediglich nach deinem Passierschein gefragt, und als du dann weggelaufen bist, hielt ich es für nötig, dich festzuhalten – nicht, dich festzunehmen. Aber wenn du einen Diebstahl einfach so zugibst …« Er zögerte einen Augenblick. Das Ganze klang genauso absurd, wie er sich gerade fühlte.
    Was zum Teufel tat er hier eigentlich? Diskutierte mit einer Diebin? Noch dazu einer, die nicht viel älter als er selbst sein mochte, mit katzengrünen Augen und funkelndem Blick. Ein Mädchen, das gar nicht abstritt, in die Zinade eingebrochen und Wasser für ein ganzes Viertel geklaut zu haben!
    Der Blick des Mädchens flackerte unsicher, bevor sie sich straffte. Ein Ausdruck trat in ihre Augen, den er nicht richtig deuten konnte.
    »Und was hast du jetzt mit mir vor?«, erkundigte sie sich spöttisch.
    Gute Frage. Seine Pflicht war es, sie zur Wache zu bringen und zu Protokoll zu geben, was diese Nacht geschehen war. Dann
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