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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci
Autoren: Andreas Maier
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sich nicht des Eindrucks erwehren, daß Alexej nach seinem Eintritt ins Kloster plötzlich mehr in sich ruhte. Es schien ihnen so, als sei Alexej vorher verpuppt gewesen, ohne daß es irgendwer begriffenhätte. Jetzt war er geschlüpft. Man brachte ihm sofort eine fast ehrfürchtige Hochachtung entgegen, gegen die er sich aber höflich zu wehren wußte. Einiges hatte sich bei ihm wirklich schnell verändert. Er hatte bald nach seinem Eintritt ins Kloster begriffen, daß viel Unglück und Falschheit in die Welt kommt durch Unmäßigkeit im Reden. Er sah im Reden eine ähnliche Verlockung wie im Trinken oder in der geschlechtlichen Liebe. Also hielt er sich beim Reden zurück und erlegte sich Enthaltsamkeit auf, wodurch er auf seine Umwelt außerhalb des Klosters zwar nicht schweigsam, aber doch zurückhaltend, unaufdringlich und manchmal geradezu weise wirkte. Alles, was er sagte, war plötzlich einfach und hatte Hand und Fuß. Ansonsten schwieg er und hörte um so mehr zu. Als Zuhörer war er verständnisvoll, aber bisweilen zeigte sein Gesicht Mitleid, wenn die anderen zuviel redeten und sich deshalb ständig verwirrten. Er begriff, daß die meisten Menschen überhaupt nicht wußten, warum sie auf der Welt waren. Sie hatten keine klare Idee und spürten keine Wahrheit in sich. Er selbst hatte nun drei Leitlinien: erstens sich an die Regeln des Klosters zu halten, zweitens streng enthaltsam zu leben und drittens, das war der gefährlichste Punkt, sich für den Geringsten von allen zu erachten. In nichts steckte so sehr die Gefahr der Hybris. Das hatte auch Arnold klar erkannt.
    Alexej verbrachte den späten Nachmittag mit seinem Bruder Roman, seiner Mutter und einer Freundin der Mutter bei Tee, Gebäck und Trockenobst. Seine beiden Neffen spielten zwischen den Stühlen und wunderten sich über die seltsame Kleidung des Onkels. Gegen Abendging er mit Roman am Wölfersheimer See spazieren. Sie liefen zu einer Stelle, an der Alexej einmal mit Max und Freunden aus Blagowestschensk gegrillt hatte. Das war zu der Zeit gewesen, als er noch keine Kutte getragen hatte. Alexej blieb dort nachdenklich stehen und betrachtete die Sonne, die bald untergehen würde. In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Es war Arnold.
Die Engel
    Als Arnold Meurer den Mönch verlassen hatte, ging er zu dem mit seiner Schwester verabredeten Treffpunkt. Sie hatten ausgemacht, daß Heike in eine Straße hineinlaufen sollte, etwa hundert Meter weit, auf jeden Fall außer Sichtweite, um dort zu warten. Auf dem Straßenschild stand Zeißelstraße . Heike war nicht da. Arnold begann herumzulaufen. Es ärgerte ihn nicht, daß er Heike nicht fand, diese Regung wäre ihm völlig fremd gewesen. Er wäre an ihrer Stelle auch nicht stehengeblieben, um zu warten. Heike und er waren sich in solchen Sachen sehr ähnlich. Nach einer halben Stunde fand er Heike ganz von selbst. Erst holte er sich an einer Trinkhalle Bier, dann überquerte er eine kleine Grünanlage, lief durch die Straße oberhalb der Zeißelstraße, ging in eine Wirtschaft und gelangte schließlich zur Glauburgstraße. Arnold erinnerte sich daran, daß sich hier der Mönch von den beiden anderen, dem deutschen Priester und dem Freund Merle Johanssons, getrennt hatte. Heike bewegte sich immer eher rückwärts als vorwärts. Also lief er die Straßeentlang, kam zur Stalburg und fand dort seine Schwester. Sie hatte an einem Klapptisch vor der Wirtschaft Platz genommen, neben ihr saß ein Mann Mitte Zwanzig. Heike und der Mann unterhielten sich sehr angeregt. Arnold bewunderte seine Schwester, sie hatte ein auffälliges Talent, den Leuten nach dem Mund zu reden, und schaffte es auch in diesem Augenblick ohne weiteres, dem Mann an ihrem Tisch zu suggerieren, sie habe absolut Ahnung von der Sache, über die sie gerade sprachen, und daß diese Sache sie zudem überaus begeistere. So ein Gesprächsverhalten konnte natürlich nur dann funktionieren, wenn dem anderen ganz egal war, was geredet wurde, weil es für ihn um etwas komplett anderes ging. Und in der Tat, der Mann interessierte sich ausschließlich dafür, wie Heike ihre Beine hielt oder ob sie sich vornüberbeugte und er vielleicht unter dem schwarzen Spaghettitop ihre Brüste sehen könnte. Und er schaute ihr natürlich auf die Lippen, denn Heike hatte eine perfekte Art, ihre Lippen zu schürzen, das machte alle Männer wahnsinnig, ausnahmslos alle. Augenscheinlich hatte Heike dem Mann bereits völlig den Kopf verdreht. Sie hob ihre
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