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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci
Autoren: Andreas Maier
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Gartenlaube. Ihre Gespräche, fand sie, waren immer ganz besondere. Sie sprachen manchmal von Reisen, manchmal von Büchern, über Politik, über Potsdam im allgemeinen,die Wiedervereinigung. Sie sprachen nie über: Fernsehsendungen vom Vortag, Artikel in der Märkischen Allgemeinen oder den Potsdamer Neuesten Nachrichten. Frau Schmidt war nicht klatschsüchtig, und Herr Hornung war es in wohltuender Weise auch nicht. Er hatte nicht einmal einen Fernseher, und das, obgleich er für das Fernsehen arbeitete und diese Serie gemacht hatte: Oststadt! Kurzum, sie stand Hornung nah genug, um von seinem Tod betroffen zu sein, aber dennoch war sie nun hier in der fremden Umgebung des Nibelungenhofs ein wenig ausgelassen und bestellte also einen Schwarzwaldbecher. Sie aß den Schwarzwaldbecher mit großem Appetit, und anschließend trank sie einen Schnaps. Immer wieder blickte sie freundlich zu ihren Tischnachbarn und führte die eine oder andere Konversation. Zwei Plätze weiter saß eine Mutter mit einem Kind von vielleicht drei Jahren. Frau Schmidt lächelte das Kind an und schob ihm eine Platte mit Wurstbrötchen hin, weil sie dachte, das Kind wolle noch etwas essen. Das hätte sie besser nicht getan. Die Mutter, eine junge Frau, ihrer Aussprache nach ebenfalls Potsdamerin, rief sofort, sie sei wohl wahnsinnig! Zu ihrem Nachbarn: Lars, die Frau schiebt Jesus totes Tier hin, einfach so. Der Nachbar wandte sich zu Frau Schmidt und sagte: Wir essen so etwas nicht. Frau Schmidt: Das kann ich doch nicht wissen …
    Jetzt erschienen auch der Pfarrer und der russisch-orthodoxe Mönch in der Gastwirtschaft. Nach der Beerdigung waren sie zunächst noch in der Kapelle beschäftigt gewesen. Beide waren in ein Gespräch vertieft und setzten sich an die Mitte der Tafel, wo für sie freigehaltenworden war. Der Mönch hatte einen längeren, dünnen Kinnbart, trug eine Art Filzkappe und einen braunen Rock. Er sprach sehr gut Deutsch, in gewisser Weise besser als sein Kollege, aber mit Akzent und ziemlich langsam. Der Mönch hatte Deutsch studiert, als er noch in Rußland gelebt hatte. Vor drei Jahren war er zum ersten Mal nach Deutschland gekommen. Seine Sprache war wie eine Konserve aus vergangenen Zeiten. Er sprach sensationelle Hypotaxen, die aber nicht immer aufgingen. Er erzählte dem deutschen Kollegen gerade, wie er den Verstorbenen kennengelernt habe. Ich kam, sagte er, als ich mit meinen Eltern, welche ursprünglich aus der Ukraine stammten, dann aber in Blagowestschensk lebten, kurz gesagt, als ich mit ihnen übersiedelte, kam ich in einen Ort namens Bad Nauheim, wo es, wie Sie wahrscheinlich nicht wissen, Herr Pfarrer, ein dezentrales Übergangslager für uns gab. Nun, wir lebten dort zuerst einfach so in diesem Lager, und ich hatte noch zuvor in Blagowestschensk einen deutschen Universitätskollegen (ich arbeitete dort an der Universität) kennengelernt, er hieß … aber der Name tut nichts zur Sache, Sie kennen ihn nicht. Kurz gesagt, ich lebte also ein Jahr lang bereits in Bad Nauheim, da erfuhr ich erst, daß justament dieser Universitätskollege aus genau dieser Stadt stamme, gerade Urlaub mit seiner russischen Familie mache und bei uns in Bad Nauheim seine Hochzeit nachfeiere. Sie hatten in Blagowestschensk geheiratet, feierten aber in Deutschland ein zweites Mal, wegen der Familie meines Universitätskollegen. Ich war überrascht, erfreut und ging zu dieser Hochzeit, damals war ich noch kein Mönch, das heißt, ich war noch keinAspirant. Auf dieser Hochzeit begegnete ich Maximilian zum ersten Mal. Wir sprachen allerdings nur kurz, nur allgemein. Zwei Tage später begegneten wir uns im Schwimmbad, ich ging damals nämlich oft ins Schwimmbad, ich lebte im Grunde wie ein Pensionär in dieser Stadt, es gab ja keine Arbeit, mein Universitätsdiplom wurde in Deutschland nicht anerkannt. Aber was erzähle ich? Sagen Sie, Herr Pfarrer, woher kannten Sie Maximilian? Der Pfarrer: Aber wie kommen Sie denn darauf, daß ich ihn gekannt habe? Nein, ich kannte ihn gar nicht. Wissen Sie, wen man hier so alles beerdigt … Wieso hat er denn in Potsdam gewohnt? Wissen Sie das? Er war doch, glaube ich, Frankfurter, oder nicht? …
    Überall im hinteren Raum des Nibelungenhofs wurden solche Gespräche geführt, wobei selbstverständlich die unterschiedlichsten Dinge erzählt wurden. Frau Anni Schmidt zum Beispiel hatte bislang überhaupt nicht gewußt, daß Hornung verheiratet gewesen war. Sie wurde gerade von der Frau mit dem
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