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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci
Autoren: Andreas Maier
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dreijährigen Kind darüber aufgeklärt. Das Kind schaute seine Mutter begeistert an, aber immer, wenn es von jemand anderem angesprochen wurde, bekam es einen völlig leeren Blick. Wenn man ein Würstchen hinhielt, wurde der Blick noch viel leerer und das Kind sofort vollkommen ruhig, es wirkte wie abwesend. Das Kind war so lange völlig bewegungslos (es blickte dabei ein wenig nach oben), wie man das Würstchen hinhielt. Was jeweils folgte, war ein Wutanfall der Mutter. Meistens tuschelte sie mit ihrem Gefährten und blickte dabei in die Runde. Die Frau mochte sieben- oder achtundzwanzig Jahre alt sein, hatte ein schönes Gesicht,langes schwarzes Haar, große blaue Augen und blasse Haut. Sie und ihr Gefährte hatten Frau Schmidt nach dem Hinhalten der Wurstbrötchenplatte ganz zu Beginn des Trauerschmauses nicht mehr beachtet. Später aber rief die Frau zu Anni Schmidt, wie sie denn darauf komme, Hornung sei unverheiratet gewesen. Frau Schmidt: Er trug doch keinen Ring. Er hat auch nie etwas erzählt. Die Frau: Natürlich war er verheiratet. Aber man kann nicht sagen, daß seine Ehe besonders glücklich gewesen wäre. (Sie lachte.) Allerdings hat er sich nicht scheiden lassen. Auf solche bürgerlichen Dinge gab er nichts. Nicht wahr, Lars, sagte sie zu ihrem Freund, warum soll man sich scheiden lassen, man kann ja auch verwitwen! … Frau Schmidt wollte nun aber doch wissen, mit wem Hornung verheiratet gewesen sei. Sie wisse zwar, daß er einen Sohn habe, der so um die siebzehn sei, aber wer die Mutter sei, wisse sie nicht. Die Frau mit den großen blauen Augen reagierte darauf nicht weiter, sagte nur kurz zu ihrem Freund, es sei ja völliger Unsinn, was die da rede, und wandte sich ab. Nach einer Weile rief sie aber doch zu Frau Schmidt: Mit mir war er verheiratet. Wir haben vor drei Jahren geheiratet. Wir haben aber nicht zusammengelebt. Frau Schmidt: Und wann haben Sie sich scheiden lassen? Sie: Gar nicht, habe ich doch gesagt. Jetzt bin ich verwitwet. Sehen Sie, bis vor einer Woche war ich offiziell seine Frau, jetzt bin ich offiziell seine Witwe. (Sie lachte.) Frau Schmidt: Dann ist sein Sohn also gar nicht Ihr Sohn? Sie: Von welchem Sohn reden Sie denn dauernd? Hornung habe keinen Sohn gehabt. Das wisse sie genau. (Mit Blick auf Jesus:) Sie kenne Hornungs Verhältnissezufälligerweise sehr gut. Frau Schmidt: Jetzt verwirren Sie mich aber völlig. Die andere, zu ihrem Begleiter: Rede mit mir, Lars, ich kann diese alte Tante nicht mehr ertragen, hast du eigentlich gesehen, daß da hinten jemand raucht? Ich bin schwanger, tu was! Hier kann nicht geraucht werden!
    Später wurde es sogar ein wenig laut, denn am Tisch war, den beiden Geistlichen gegenüber, ein Paar aus Babelsberg in Streit geraten. Beide stammten aus dem Filmteam, mit dem Maximilian Hornung zusammengearbeitet hatte. Die Frau lobte Hornungs Arbeit sehr, aber der Mann, ein Kameramann, sagte, das sei alles völlige Scheiße, Westscheiße, habe mit ihnen nichts zu tun. Hornung habe von ihnen keine Ahnung gehabt. Nur deshalb habe seine Serie so eingeschlagen. Die Umsitzenden wurden in den Streit hineingezogen, es ging eine Weile um West und Ost, um Westvorstellungen und Ostvorstellungen, der Kameramann behauptete, Hornung habe die Ostdeutschen zum Schluß nur noch als Ausländer bezeichnet und gesagt, die Vereinigung sei erst dann vollzogen, wenn alle, die in der DDR gelebt hätten, endgültig ausgestorben seien. Die Mutter von Jesus rief herüber, Hornung (sie nannte ihn immer nur beim Nachnamen) sei ein ganz typischer Fall gewesen. Ein Mensch, der der Meinung gewesen sei, er habe Anrecht auf alles. Mit so einer Besitzermentalität. Der russische Mönch hörte diesem Streitgespräch mit gerunzelter Stirn zu, blickte aber freundlich in die Runde, als könne er allein durch seinen sanften Blick eine bessere und harmonischere Stimmung am Tisch erzeugen. Das war aber nicht möglich. Wiesotragen Sie denn diese Filzkappe, rief die Mutter von Jesus. Schwitzen Sie nicht? Es ist doch Sommer, da müssen Sie doch schwitzen! Wie heißen Sie denn? Ich heiße Merle. Ich bin seine Frau. Der Mönch erwiderte, er heiße Alexej. Sie: Sagen Sie mal, finden Sie das eigentlich richtig, hier so Ihre Religion zur Schau zu stellen? Wir interessieren uns dafür nicht besonders, verstehen Sie das? Mir ist es völlig egal, was Sie machen, aber Sie müssen es nicht demonstrieren, oder? Alexej lächelte sanft und sagte, es sei das Gebot seines Ordens, der Bruderschaft des
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