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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci
Autoren: Andreas Maier
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heiligen Hiob von Potschajew, diese Kopfbedeckung zu tragen, er ziehe sie auch im Kloster nicht ab. Er sei übrigens noch in der Probezeit. Sie: Wo sind Sie denn im Kloster? Er, nach wie vor ganz freundlich: Das Kloster ist in München. Wir beschäftigen uns mit Buchdruckerei. Jaja, rief sie, bleiben Sie nur immer schön freundlich, das ist ja auch am ungefährlichsten … Frau Schmidt folgte diesem eigenartigen Gespräch mit leerem Gesichtsausdruck, ähnlich dem von Jesus, wenn er auf den Anblick von Fleisch reagierte. Ihr war unbegreiflich, wie diese junge Frau so mit einem Mönch reden konnte. Es überstieg ihre Fassungskraft …
    Später kam es noch zu einer merkwürdigen Szene. Gegen zwei Uhr, als schon einige der Trauergäste gegangen waren, betrat ein junger Mann den Raum, oder besser gesagt, ein Junge. Er mochte sechzehn oder siebzehn Jahre alt sein, hatte längeres, blondes Haar, eine auffällig sandfarbene Haut und sehr große braune Augen. Der Junge war unordentlich gekleidet und wirkte abgemagert. Alle schauten ihn an, als er in der Tür zum Gastraum erschien. Kurz darauf widmeten sie sich jedoch wiederihren Gesprächen. Der Junge hielt sich am Rand, setzte sich auf einen etwas abseits stehenden Stuhl und musterte die Runde. Nach einer Weile stand er wieder auf und setzte sich in Alexejs Nähe. Er kannte den russischen Mönch zwar nicht, aber vielleicht machte Alexej einen vertrauenswürdigen Eindruck auf ihn. Die anderen hatten sich, wie gesagt, wieder ihren Gesprächen gewidmet, dennoch schauten einige der Babelsberger unverhohlen zu dem Jungen hinüber. Das ist, flüsterte Anni Schmidt der Frau mit Namen Merle zu, der Sohn von Herrn Hornung. Er heißt Arnold. Merle: Das ist doch kein Sohn von Hornung! Der sieht ihm ja nicht mal ähnlich! Einer aus dem Filmteam stand jetzt auf, ging zu Arnold und setzte sich neben ihn, wobei er vertraut tat. Wie kommst du denn hierher, fragte er. Bist du allein nach Frankfurt gefahren? Arnold schwieg. Ein anderer aus dem Filmteam rief, das sei ja alles unglaublich. Jetzt komme der auch noch zur Beerdigung! Hat er am Ende noch seine Schwester dabei? Nein, rief Arnold plötzlich laut, meine Schwester ist nicht dabei. Und nimm dieses Wort nicht in den Mund, du Arschloch, sag nie mehr seine Schwester ! Sie geht euch überhaupt nichts an! In dem Augenblick öffnete sich allerdings erneut die Tür zum Clubraum, und ein Mädchen kam herein, das ebenfalls diese eigentümlich sandfarbene Haut und die gleichen Augen wie der Junge hatte, nur daß ihre Haare länger waren und fast bis zur Taille reichten. Sie trug ein schwarzes Spaghettitop und einen kurzen schwarzen Rock, der ihre Knie frei ließ. Das ist doch ganz unerhört, rief der Mann von eben. Heike, daß du dich unterstehst, hier auch noch zu erscheinen! Mansollte euch dem Jugendamt abliefern, das sollte man. Arnold rief: Dann versuch es doch! Du altes Schwein, fick doch deine Frau, los, fick sie, aber du fickst sie nicht, du kannst nur wichsen, du Fettsack. Der Mann stand auf und lief um den Tisch herum, um Arnold zu ohrfeigen, aber Alexej stellte sich vor den Jungen. Sie naiver russischer Pope, sagte Arnold. Lassen Sie ihn mich schlagen, los, lassen Sie ihn! Nur die Eskalation zeigt die Wahrheit, und ich will die Eskalation, ich will sie unbedingt! Der Mann blieb stehen, schüttelte den Kopf, murmelte etwas vor sich hin und rief schließlich, das habe alles nichts mit Max zu tun, nichts, Max sei alldem nur aufgesessen, sie hätten ein teuflisches Spiel mit ihm getrieben. Ach ja, wir? rief Arnold. Dann ging der Mann zu seinem Platz zurück und besprach sich mit seinen Kollegen, woraufhin ein Teil der Babelsberger den Raum verließ. Heike hatte die ganze Zeit unbeteiligt am Rand gestanden und unter sich geblickt, jetzt setzte sie sich wortlos neben ihren Bruder und Alexej. Nach dieser Szene kehrte wieder Ruhe ein. Die beiden Geschwister tranken Bier und aßen eine Unmenge von Wurst- und Käsebrötchen, offenbar hatten sie großen Hunger. Auch das Mädchen machte einen verwahrlosten Eindruck. Die ganze Trauergesellschaft hatte diese Szene mitbekommen, aber die Potsdamer und Babelsberger winkten bloß ab und sagten, man solle darauf nichts geben, das hätten sie schon zu oft erlebt. Wo die beiden auftauchten, gebe es nichts als Unfrieden. Damit ging man wieder zur Tagesordnung über.
    Gegen drei Uhr löste sich die Trauerversammlung auf. Frau Schmidt fuhr zum Bahnhof, um den nächsten Zugnach Berlin zu nehmen, die
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