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Was bisher geschah

Was bisher geschah

Titel: Was bisher geschah
Autoren: Loel Zwecker
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Ein Vorwort inklusive 2,5 Millionen Jahren Vorgeschichte
     
    Rund 200 Kilometer westlich von Windhuk in Namibia steht ein Berg namens Spitzkoppe in der Wüste, der wegen seiner markanten Form bekannt ist. In der Nähe war ich vor einigen Jahren mit ein paar Freunden zelten. Gegen Abend setzte ich mich etwas abseits von den anderen auf einen Felsen. Als die Sonne hinter dem Berg verschwand, herrschten auf einen Schlag absolute Finsternis, Stille und die Kälte der nächtlichen Wüste.
    Ich stellte mir vor, wie hier, wo ich jetzt saß, vor langer Zeit Buschmänner als Jäger und Sammler gelebt haben. Wie sie vielleicht tags in der Hitze nach Wurzeln suchten und abends mit dürren Sträuchern Feuer machten, zusammenrückten, um einander zu wärmen. Nach einer Weile fühlte ich die Einsamkeit der Wüstennacht und war zugleich begeistert über die Weite, Intensität und Klarheit der Eindrücke. Ich konnte nachvollziehen, warum die Entstehung der monotheistischen Religionen immer wieder – unwissenschaftlicherweise – mit der Wüstenlandschaft in Verbindung gebracht wurde. Ist man dem Nichts, der Einsamkeit dieser kargen Natur ausgesetzt, sucht man nach Orientierung, einem großen Gegenüber und möchte es vielleicht im göttlichen Sternenhimmel finden, der in der Wüste besonders klar leuchtet. So entstanden womöglich auch Geschichten wie jene aus dem Alten Testament, der zufolge der biblische Gott Jahwe Moses im Sinai auf dem Gottesberg Horeb als brennender Dornbusch erschien (Exodus 3,2-4,17).
    Zwar gibt es an der Spitzkoppe keine brennenden Dornbüsche, doch gilt das Massiv als eine Art heiliger Berg der Buschmänner. Tagsüber hatte ich in der Nähe Felsmalereien gesehen, vermutlich jahrtausendealte Zeugnisse magischkultischen Denkens. Als ich dann abends auf dem Felsen saß, fühlte ich mich als Teil einer längeren Geschichte und meinte, ihre Gegenwart zu spüren.
     
    Als ich Ende 2008 die Idee hatte, eine kleine Weltgeschichte zu schreiben, die einen Überblick bietet und zugleich lebendige Eindrücke und verschiedene Perspektiven vermittelt, erinnerte ich mich an mein Erlebnis. Ich fragte mich, welche Momente persönlich erlebter Geschichte wohl für andere wichtig sind. Ich machte eine kleine Privatumfrage. Bei Treffen, Abendessen und auf Partys wollte ich von insgesamt rund 60 Freunden und Bekannten wissen: »Wann hast du dich zum ersten Mal als Teil der Geschichte gefühlt?« Ich erklärte, dass es kein historisches Ereignis wie der Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 sein müsse, das man in Geschichtsbüchern findet. Es dürfe auch ein persönlicher Moment sein, in dem man sich vergegenwärtigen konnte, wie Menschen früher gelebt haben oder in dem man schlicht historische Bedeutung gespürt habe.
    Der Mauerfall am 9. November 1989 wurde tatsächlich am häufigsten genannt. Am zweithäufigsten wurden die Terroranschläge der Roten Armee Fraktion (RAF) in den siebziger Jahren angeführt. Insgesamt war die Bandbreite der Antworten aber groß. Ein Freund nannte den Moment, als er Mitte der achtziger Jahre Mitglied bei Greenpeace geworden war, in der Hoffnung, mal bei einer Schlauchboot-Aktion gegen die Meeresverschmutzung mitmachen zu können. Für einen Chemiker war der Tag historisch, an dem er im Rahmen seiner Doktorarbeit eine Verbindung mischte, die es vorher nicht gegeben hatte. Für eine 40-Jährige war es die Geburt ihres ersten Kindes. Eine andere dachte an ihre Jugendlektüre Das kurze Leben der Sophie Scholl . Einige Befragte, die bereits über 70 waren, sprachen über ihre Kindheitserlebnisse im Zweiten Weltkrieg. Ein 60-Jähriger erinnerte sich an den Moment, in dem er im Radio eines Linienbusses die Nachricht von der Ermordung John F. Kennedys am 22. November 1963 hörte. Ein Ereignis, bei dem alle wissen, wo sie zum Zeitpunkt des Geschehens waren, die Anschläge vom 11. September 2001, nannten vor allem Leute in ihren Zwanzigern.
    Manche sahen sich in Sachen Geschichtsträchtigkeit eher als Beobachter, andere als aktiv an der Gestaltung der Geschichte beteiligt. Einige jüngere Befragte hatten allerdings gar keinen historischen Moment parat. Und eine Engländerin wunderte sich über sich selbst, weil ihr als Erstes der dramatische Sieg mit zwei Toren in der Nachspielzeit von Manchester United gegen den FC Bayern München im Champions-League-Finale von 1999 einfiel. Die Antwort ist insofern bezeichnend, als sie zeigt, dass meine Generation im Allgemeinen nicht durch schwerwiegende historische
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