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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci
Autoren: Andreas Maier
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Der Polizist reagierte wieder nicht, sondern schaute angestrengt vor sich hin. Sie standen inzwischen vor der Toilettentür. Der Polizist wartete noch zwei, drei Minuten, dann betrat er gemeinsam mit Arnold, den er am Arm festhielt, den Vorraum der Damentoilette. Lassen Sie mich los, sagte Arnold, Sie tun mir weh. Das ist nicht meine Absicht, meinte der Polizist. Wie heißt deine Schwester noch mal, fragte er. Heike, sagte Arnold. Der Polizist rief im Vorraum: Heike, wir warten auf dich. Ist schon gut, sagte Arnold und löste sich aus dem Griff des Polizisten. Der Polizist machte Anstalten, die einzelnen Kabinen in Augenschein zu nehmen. Arnold schaute währenddessen in den Spiegel. Er sah im Spiegel, wie der Polizist in jede Kabine hineinschaute. Eine war besetzt, der Polizist klopfte, eine Stimme meldete sich. Der Mann sagte, die Polizei sei da. Arnold schüttelte den Kopf und dachte, warum ist das immer so leicht? Warum ist alles auf dieser Welt immer so leicht? Er glitt durch die Tür, lief zum Ausgang und traf dort seine Schwester, mit der er in ein kleines, nahegelegenes Waldstück rannte. Das hat aber gedauert, sagte sie. Arnold entgegnete, der Polizist habe unbedingt noch auf die Damentoilette gehen wollen. Er lachte … Als sie aus dem Wäldchen wieder herauskamen, hatten sie die Situation mit dem Polizisten bereits wieder vergessen. Langsam begann der Abend zu dämmern.
    Als sie an eine große, verkehrsreiche Straße kamen, rief Arnold abermals bei Alexej an. Diesmal nahm der Russe den Anruf entgegen. Arnold sagte, sie seien unterwegs nach Potsdam. Er wünsche ihnen einen guten Heimweg, antwortete Alexej. Aha, entgegnete Arnold, er wünsche ihnen einen guten Heimweg. Haben Sie weiter nichts zu sagen? Wir scheinen Ihnen ja gänzlich egal zu sein! Hat Max nie etwas von uns erzählt? (Arnold siezte den Mönch jetzt wieder.) Alexej antwortete, Max habe nie etwas erzählt, er selbst habe bis vorhin überhaupt nichts von ihnen gewußt. Er müsse auch hinzufügen, daß er nicht verstanden habe, was während der Beerdigung passiert sei. Ach, sagte Arnold, und warum fragen Sie nicht? Warum fragen Sie denn nicht, was da passiert ist? Und warum fragen Sie uns nicht, wer wir sind? Alexej entgegnete, er sei sich nur in einem sicher, nämlich daß sie mit Gewißheit keine Nachkommen von Max seien. Arnold: Haben Sie Max viel gesehen in der letzten Zeit? Alexej: Nein. Seitdem er im Kloster lebe, habe er Max nur noch einmal gesehen, bei der Mutter. Arnold: Bei wessen Mutter? Alexej: Bei meiner. Es war im letzten Winter. Wir trafen uns auf der Straße. Er sah mich zum ersten Mal in meiner Kutte. Aber das ist, kurz gesagt, nicht wichtig. Ja, sagte Arnold, jaja. Arnold wollte das Gespräch weiterführen, er wollte sich in etwas verbohren, damit der Mönch das Gespräch nicht abbrach, aber es gelang ihm nicht, und er wußte auch gar nicht, warum er das wollte. Der Mönch war wie Wachs, er gab überall nach. Jetzt wünschte er ihnen noch einmal alles Gute. Hm, machte Arnold, verabschiedete sich und beendete das Gespräch … Ich glaube,er durchschaut uns völlig, sagte er zu Heike. Sie: Ich weiß nicht, warum du da anrufst. Was willst du denn von ihm? Er: Keine Ahnung. Weiß ich nicht.
    Sie gingen in eine Bar, ließen sich Leitungswasser geben, dann streunten sie durch die Stadt. Beide verspürten keinen Hunger, obwohl sie seit der Beerdigung am Mittag nichts mehr gegessen hatten. Arnold und Heike waren daran gewöhnt, das Gefühl von Hunger zu unterdrücken, sie nahmen es gar nicht wahr. Sie lebten so ohne jede Ordnung, daß sie fast allen Dingen ohne weiteres entsagen konnten. Wären sie ein paar Jahre älter gewesen, hätte man sie vielleicht catilinarische Existenzen genannt. Aber sie waren jung, lebten vor sich hin und schienen für überhaupt keinen bestimmten Zweck zu existieren. Dennoch ging es ihnen wie Catilina: Im Ertragen von Hunger, Kälte und langem Wachsein waren sie auffällig geübt. Sie liefen aus der Stadt hinaus, es wurde dunkel, sie kamen in einen Wald, suchten sich eine Stelle, machten kein Feuer, redeten noch eine Weile unter dem Licht des Mondes, dann kuschelten sie sich aneinander und schliefen ein.
Jene Nacht
    Am nächsten Morgen sahen beide noch zerzauster aus, aber in ihren Blicken dort im Wald lag eine Ruhe, als gäbe es nur sie beide auf der ganzen Welt. Was Außenstehende so an Heike und Arnold Meurer beängstigen und verärgern konnte, war genau das: nämlich daß sie die Welt umsich herum nicht
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