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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci
Autoren: Andreas Maier
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Reclambuch, Wilhelm Raabe, Stopfkuchen .) Mein Kopf formulierte Regieanweisungen, und in der Tat, sie wurden befolgt. Potsdam befolgte sie. Oder zumindest wurden sie in der Lindenstraße befolgt, direkt vor meiner Bank. Wie bei einem unsichtbaren Theaterregisseur. Ich glaube, daß alles, auch wenn die Menschen einzeln handeln (aus ihrer eigenen Perspektive) … daß alles dennochnach einem bestimmten Rhythmus vonstatten geht, der überpersönlich ist. Das stützt übrigens meinen Gedanken, daß es ganz egal ist, was man tut …
    Aber es ist ganz unwichtig, was ich da auf der Bank beobachtete. Später schlief ich eine Weile auf der Insel, traf den alten Baron, der mich ein paar Minuten vollquatschte, dann fuhr ich nach Bornstedt auf den Sportplatz und lief ein paar Runden. Abends war ich hier im Hafthorn. Am nächsten Morgen ging ich über die Ebertstraße, ich traf verschiedene Leute, dann war ich wieder zu Hause, dann war ich wieder in der Stadt, traf Leute, dann war ich wieder im Hafthorn, und heute, dreimal darfst du raten, passierte genau dasselbe, bis zu dem Punkt, an dem du jetzt eben ins Hafthorn getreten bist. Aha, sagte Arnold, indem er das Angelologiebuch befremdet betrachtete, und was ist dabei deine Theorie? Er: Meine Theorie ist, daß sich die Welt hauptsächlich in Kneipen abspielt, oder auf Wiesen, oder wenn man so am Ufer sitzt, verstehst du? Die Dinge, die ansonsten vorkommen, kommen eigentlich nicht vor, sie kommen nur in der Kneipe vor, oder auf der Wiese, oder am Ufer. Hm, machte Arnold, der nicht ganz begriff, was Nils damit sagen wollte. Nils: Die Welt ist hauptsächlich etwas, das ich selbst nie erlebt habe. Ich weiß, der Gedanke ist banal, aber das Zentrum meiner Theorie ist nicht das, sondern daß im Grunde die Welt in der Kneipe oder auf der Wiese oder am Ufer entsteht . Ohne Reden fände das alles nicht statt. Weißt du, was ich meine? Weißt du, was ohne Reden von der Welt übrigbleibt? Arnold: Na, sag schon, was bleibt von ihr übrig? Nils: Meines Erachtens bleibt von der Welt ohneReden übrig: Potsdam, das Hafthorn, oder zum Beispiel der Sportplatz in Bornstedt.
    Heike kam zu ihnen, sie hatte vorher bei Maja gesessen. Auch sie betrachtete das lateinische Buch Angelologia . Auf jeder Seite standen drei oder vier Zeilen Text, darunter war die ganze Seite mit Fußnoten aufgefüllt. Wie konnte Nils das lesen? Heike sagte, daß ihr dieses Buch bekannt vorkomme. Ja, klar, sagte Nils. Es gehört ja Max. Es lag auf seinem Schreibtisch. Arnold: Warst du in den letzten Tagen in seinem Haus? Nils: Gestern in der Nacht bin ich da gewesen. Arnold: Hast du wen getroffen? Nils schüttelte den Kopf. Er sei seit jenem Tag zum ersten Mal im Haus gewesen. Arnold: Seit zwei Monaten nicht mehr? Nils: Jene Nacht ist sechs Wochen her, nicht zwei Monate.
    Alle drei schauten daraufhin eine ganze Weile vor sich hin, ohne etwas zu sagen.
    Nils: Es ist wie in meiner Theorie. Wäre ich in jener Nacht nicht dabeigewesen, sagen wir, wie Maja, die von alldem nichts weiß, dann würde diese Nacht für mich folglich gar nicht existieren. Selbst wenn mir bloß davon erzählt worden wäre, wäre es etwas ganz anderes. Es wäre mehr wie ein Satz aus einer Zeitung. Es wäre unanschaulich, falsch, es hätte mehr etwas mit allgemeinen Maßstäben zu tun, wie sie eben immer in den Zeitungen zugrunde gelegt werden, aber nicht mit Wahrheit. Nicht mit der Wahrheit des Augenblicks und der Wahrheit der anwesenden Personen. Er wies auf Heike und sagte zu Arnold: Stell dir mal vor, wie die Rolle, die sie bei alldem gespielt hat, in den Zeitungen erscheinen würde.Für uns war Heike in den Tagen danach ja geradezu eine Heilige, eine Unantastbare, aber in den Zeitungen wäre sie als Bestie erschienen, nicht einmal als Richtgöttin, nein, als kleine, dreckige Potsdamer Schlampe. Uns selbst hätte man allesamt verteufelt, und Malkowski hätten sie höchstwahrscheinlich einfach als Opfer hingestellt. Als pervers zwar, aber als Opfer. Heike: Immerhin hat er den Keller eingerichtet. (Lächelnd:) Extra für uns. Arnold: Meinst du? Der Keller hat mit dir nichts zu tun. Das ist allein meine Sache. Du warst da nie und gehst da auch nie hin.
    Er rieb sich die Stirn, stand auf und holte tief Luft. Hört mal zu, Leute, sagte er. Ich will nicht, daß das immer mehr zum Zentrum unseres Lebens wird. Wenn irgend etwas über diese Nacht herauskommt, könnte auch alles genau andersherum dargestellt werden. Schließlich sind wir minderjährig, und
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