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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai
Autoren: Die Nacht vor der Scheidung
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achtunddreißig
geworden, während der Richter erst im Dezember Geburtstag hatte, was ihn, ohne
daß er es hätte begründen können, ein wenig verstimmte.
    Auch das
Alter der Frau überraschte ihn. Frau Imre Greiner, geborene Anna Fazekas, war
schon über dreißig. Er rechnete nach und überließ sich seinen Gedanken. Nun,
da Menschen von Fleisch und Blut aus den Akten heraustraten, entsann er sich
auch verschiedener Begebenheiten. Zum Beispiel eines besonders heißen und
schwülen Sommertages vor neun Jahren, als er auf der Margareteninsel – jener
reizvollen Insel inmitten der Donau zwischen den beiden Ufern von Buda und Pest
– dem Mädchen Anna Fazekas begegnet war. Damals hatte
sie wohl Doktor Greiner noch nicht gekannt, er zumindest wußte nichts von
einem Verlöbnis. So wanderten sie eines Abends, gemeinsam mit Annas Freundin
und deren Vater, nebeneinander auf dem Inselpfad. Christoph Kömüves trug Annas
Tennisschläger, blau und weiß gestreift war ihr Sommerkleid, dunkel beschattet
der Weg, auf dem sie gingen und über einen Ausflug auf der Donau sprachen. Im
Schein einer Bogenlampe betrachtete er ihr Profil, ihr Antlitz, das sich ihm in
der schwachen Beleuchtung zugewandt hatte, und er hörte ihre Stimme, die weich
und zärtlich war – aber vielleicht bildete er sich diese Sanftheit, den
unbestimmten, schwebenden Ton in ihrer Stimme auch erst jetzt, nachträglich,
ein. Vor dieser Begegnung hatte er sie nur zwei- oder dreimal gesehen. Ihr
Vater war Schulinspektor in der Provinz gewesen. Nach seiner Pensionierung war
er mit der Familie nach Budapest gezogen. Schon vordem aber war das Mädchen in
einem Pensionat in der Hauptstadt erzogen worden.
    Worüber sprachen sie damals
eigentlich? Er erinnerte sich der Worte nicht mehr, aber die Stimme des
Mädchens – sie war doch weich und zärtlich gewesen – klang ihm auch jetzt noch
im Ohr ... Sie waren dann eine Zeitlang schweigend auf den dämmrigen Wegen
gegangen, bei einer Biegung war er stehengeblieben, und sie hatte sich ihm
sofort zugekehrt, als wollte sie etwas sagen. Aber wortlos waren sie dann
weitergewandert bis zur Brücke, wo sie
voneinander Abschied nahmen.
    Am nächsten Morgen fuhr er auf
Urlaub, blieb vier Wochen in einem österreichischen Kurort und lernte dort
seine Frau kennen, die er dann im folgenden Jahr heiratete. Während der Monate,
in denen er seiner zukünftigen Frau schon den Hof machte, verkehrte er noch in
der Gesellschaft und bei Familien mit erwachsenen Töchtern – jedoch glaubten
die interessierten Mütter und Mädchen durch ihren geheimnisvollen weiblichen
Nachrichtendienst bereits zu wissen, daß er verlobt sei. Während dieser Zeit
sah er Anna Fazekas wieder. Eine auffallend schöne Gestalt hatte dieses
Mädchen, vielleicht war sie sogar eine Schönheit? Der Richter blickte wieder
auf den Hof hinab, als suche er jemanden; nun war der Lieferwagen leer, und
die Gefängniswärter begleiteten die letzten der beiden Lastenträger zu der
Eisentüre. Kömüves sah noch, wie sich das Tor hinter ihnen schloß, dann kehrte
er zu den Akten zurück.
    Die Unterlagen entsprachen den
gesetzlichen Vorschriften. Die Eheleute hatten sechs Monate lang getrennt
gelebt und verlangten die Scheidung der Ehe wegen »böswilligen Verlassens«.
    Der Richter kramte aus der unteren
Lade seines Schreibtischs eine Schachtel mit selbstgedrehten Zigaretten
hervor und füllte sein ledernes Etui. Einer anderen Lade entnahm er eine bessere
Sorte, die eigentlich nur seinen Besuchern zugedacht war – denn er selbst
begnügte sich mit den billigen, die Hertha und das Kinderfräulein zu Hause
drehten –, jetzt aber ging er in Gesellschaft und würde vielleicht anbieten,
also gab er für alle Fälle noch einige mit goldenem Mundstück in die Tabatiere.
Er ordnete sie in eines der Fächer ein und bedachte dabei, daß diese kleinen,
gefälligen Verpflichtungen jenen geringen Gehaltsüberschuß aufbrauchten, durch
den sein und seiner Familie Leben etwas bequemer, ruhiger und ökonomischer
hätte gestaltet werden können. Er begnügte sich mit billigem Tabak, und er
hätte sich auch mit einfacherer Kleidung, bescheidenerer Wohnung begnügt. Die
repräsentativen Zigaretten mit goldenem Mundstück war er der Welt schuldig!
    Dieser Überlegungen war er
allmählich überdrüssig, und jetzt, da sie ihm wieder einfielen, weil er an
einer Gesellschaft teilnehmen wollte, bei der er pflichtgemäß zu
repräsentieren hatte, seufzte er kurz auf und lächelte verbittert. Er
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