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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai
Autoren: Die Nacht vor der Scheidung
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hat den
Satz begonnen – du bist es, der ihn jetzt beenden muß. Ich ließ Anna zurück
und kam zu dir. Ich gehe nicht fort, bis du mir antwortest – sag, hast du in
diesen Jahren je von Anna geträumt?«
    Teddy
streicht jetzt wieder durchs Zimmer und nähert sich Christoph. Auch der Richter
hat sich nun erhoben und steht sehr gerade, sein Gesicht scheint grau im trüben
Schimmer des Morgens. »Ja«, sagt er heiser, dumpf. »Öfter?« fragt der Arzt.
»Ja, öfter.« Der Arzt nickt beinahe wohlwollend und zufrieden, als hätte er
nichts anderes erwartet, und fragt weiter, als möchte er nun auch alle
unbedeutenden Einzelheiten kennenlernen: »In regelmäßig sich wiederholenden
Abständen?« Der Richter denkt nach, und seine Worte sind scharf und trocken,
als würde er diktieren: »Darauf kann ich nicht antworten.« Der Arzt reibt
sich fröstelnd die Hände und meint: »Ja, das kann man schwerlich beantworten.
Es ist aber auch nicht wichtig. Nun – nur noch eine Frage: Ist es in diesen
zehn Jahren und drei Monaten vorgekommen, daß du mit jemandem beisammen warst
– ich denke an körperliches Beisammensein – und während des Beisammenseins Annas Gesicht
unverkennbar und klar vor dir auftauchte?«
    Christoph Kömüves geht zum Fenster,
bleibt dort stehen und starrt hinaus. Über die Schulter hinweg sagt er: »Darauf
antworte ich nicht.« – »Danke, das genügt mir«, erwidert der Arzt höflich,
»ich habe keine Frage mehr. Verzeih, daß ich dich so lange gestört habe.« Und
er verneigt sich und geht.

18
    Christoph
Kömüves folgt dem Arzt bis ins Vorzimmer, hilft ihm in den Mantel und öffnet
die Tür. »Leb wohl«, sagt der Arzt. Mit hochgeschlagenem Kragen, den Hut in
der Hand, steht er im Türrahmen und verbeugt sich noch einmal ein wenig
ungeschickt. »Leb wohl«, sagt auch Kömüves. Dann schließt er die Tür hinter
ihm, steht eine Weile reglos und lauscht den vorsichtigen Schritten des
Arztes. »Leg dich auf deinen Platz«, sagt er zu dem Hund, der ihm gefolgt
ist, aber der Hund begleitet den Richter, der jetzt ins Zimmer zurückgeht.
Teddy ist tatsächlich »nervös«, er zittert, sträubt das Fell und winselt
leise. So duldet der Richter die Nähe des Tieres, setzt sich in den Armstuhl
vor dem Schreibtisch, faßt nach dem Nacken des Hundes und streicht dann über
dessen feuchtkalte Nase. Das Geräusch des zufallenden Tores widerhallt in der
Stille der menschenleeren Straße. Kömüves blickt auf die Uhr: Viertel nach
sechs. In einer halben Stunde wird die Wohnung zum Leben erwachen. Langsam
steht er wieder auf und geht durch die kühlen Räume,
bleibt vor der Kinderzimmertür stehen und drückt die Klinke nieder. Teddy eilt
voraus und blickt sich dann nach seinem Herrn um. Auf dem kleinen Tisch
zwischen den beiden Kinderbetten glüht die verschleierte Nachtlampe. Gabriel
schnauft ein wenig im Schlaf, sein kleiner, dikker Körper ist nicht bedeckt;
Esther bewegt sich leicht im Traum, ihr blonder Kinderkopf rutscht vom Kissen,
und sie drückt die Mickymaus an sich, die ihr die im Brauch der Zeit bewanderte
Generalin vor zwei Wochen aus Wien mitgebracht hat. Der Richter tritt zwischen
die beiden Betten, deckt Gabriel behutsam zu und richtet das Kissen um Esthers
Kopf. Er betrachtet das schlafende Mädchen und betrachtet Gabriel, der am
Nachmittag »Drei kleine Schweinchen« spielen wollte, den Dritten nicht fand
und deswegen, oder vielleicht auch aus anderen Gründen, nervös und gereizt
war. Jetzt schläft er ruhig, und sein pausbäckiges Gesicht ist friedlich und
heiter. Anscheinend träumt er von angenehmen Dingen.
    Versonnen betrachtet ihn Kömüves.
Dieser Knabe ist der jüngste Sproß des Kömüves-Stammes. Und ganz stark wünscht
der Richter, daß dieses Kind einen frischen und reinen Traum haben möge, daß
die Mächte der nächtlichen Unterwelt sich nicht in seine Nähe schleichen
können. Er hofft, daß der Tag seines Sohnes hell und unbeschattet sein möge.
    Er wendet sich Herthas Zimmer zu und
betrachtet
von der Schwelle aus die in die Schleier der Dämmerung gehüllte Frau. Das
Gesicht der Schlafenden ist ruhig, und er atmet den vertrauten Duft des
Zimmers ein, blickt auf das Kruzifix und das Weihwasserbecken über dem Bett.
»Hertha ist eine gläubige Christin«, denkt er nun, »ich kenne ihre Träume.
Diese schlafende Frau, diese schlafenden Kinder können kein Mißverständnis
sein ...«, und er lächelt müde und traurig. Hertha fühlt seinen Blick, seufzt
und hebt den Arm
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