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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai
Autoren: Die Nacht vor der Scheidung
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seufzte,
weil ihm die meisten gesellschaftlichen Pflichten lästig waren, und er
lächelte, weil er wußte, daß er an alldem nichts ändern konnte.
    Dann legte er die Akten genau
aufeinander und sperrte mit mechanischen Handgriffen die übrigen Zigaretten
und einige Gebrauchsgegenstände in die Lade: seine Füllfeder, die Lupe und ein
kleines Glas mit grüner Tinte, deren Farbe ihm besonders zusagte. Es war ihm
stets, als fehlte etwas, wenn diese Tinte durch seine oder des
Amtsdieners Vergeßlichkeit eingetrocknet war oder wenn das Glas zufällig nicht
auf dem Schreibtisch stand.
    Anna
Fazekas und Imre Greiner! So dachte er wieder und steckte den Schlüssel in die
Tasche. Es war halb sieben vorbei, und das große Gebäude lag zu dieser Stunde
still und verlassen. Er suchte die Erinnerung an die letzte Begegnung mit
Anna, konnte sich aber nicht erinnern. Möglichst selten war er in den letzten
Jahren ausgegangen. Er lebte zurückgezogen und beschied sich, vielleicht etwas
zu früh für seine Jahre, mit dem geschlossenen Kreis seines Berufs und seiner
Familie. Ungern stellte er dies fest, weil er fühlte, daß dieser Tatsache etwas
zugrunde lag, was er nicht näher untersuchen wollte. Von Anna Fazekas’
Vermählung erfuhr er damals aus Zeitungen, und jetzt fiel ihm auch der
Augenblick ein, da er mit überraschtem Befremden feststellte, daß Imre
Greiner, eben jener Schulkollege, an den er gern und mit Wohlwollen zu denken
pflegte und mit dem er, wenn sie einander zuweilen begegneten, doch nicht
plaudern konnte, das Mädchen geheiratet hatte, mit dem er selbst einst an
einem Sommerabend über die dämmrigen Inselpfade gegangen war.
    Hier aber
blieb er in seinen Gedanken stehen. Wer war denn Anna Fazekas? Sie hatte ihm
doch nicht mehr bedeutet als jede andere flüchtig Bekannte! Als er noch ledig
war, sah er sie zwei- oder dreimal, und dann traf er
sie auch noch später, aber da war er schon verheiratet. Hatten ihm denn diese
Begegnungen mehr bedeutet als die mit anderen jungen Mädchen und Frauen, die
er wohl kennengelernt hatte, deren Vornamen er aber kaum noch wußte? Und doch
hatte es ihn überrascht, daß Doktor Greiner und Anna Fazekas ein Paar geworden
waren. Anna Fazekas, die sich ihm einmal auf einem Inselweg im Abenddämmer
zugewandt hatte – und die dann dennoch schwieg. Jetzt aber lagen auf dem
Schreibtisch diese Akten. So spielt das Leben, dachte er zerstreut und lachte
leise und spöttisch, als wollte er sich dieser banalen Feststellung wegen
tadeln.
    Auf dem
Stapel lagen auch die Akten dreier weiterer Prozesse, und er betrachtete
ärgerlich die Schriftstücke. Wäre er Strafrichter gewesen, so hätte er sich
geweigert, sich eines Falles anzunehmen, der Bekannte betraf – und wären es
auch nur entfernte Bekannte, so wie dieser ehemalige Schulkollege und Anna
Fazekas –, die Unterlagen dieser Scheidungsklage aber entsprachen den
Bedingungen, und wenn sich inzwischen nichts Außergewöhnliches ereignet hatte
und der Aufruf zur Versöhnung erfolglos bliebe, würde er morgen mittag die Ehe
von Imre Greiner und seiner Frau kraft des Gesetzes trennen. Es gab keinen
Grund, einen Kollegen zu bitten, die Verhandlung an seiner Stelle zu führen.
    Es war
schon spät. Er nahm seinen Hut und verließ das Zimmer. Langsam ging er durch
die gewundenen vertrauten Gänge des großen Gebäudes, in dessen Treppenhaus ihn
der alte Torwächter achtungsvoll und ein wenig vertraulich grüßte. Diese kaum
erkennbare Vertraulichkeit, die ein Fremder wahrscheinlich nicht wahrgenommen
hätte, fiel dem jungen Richter jedesmal auf, wenn er das Gebäude betrat oder
es verließ. Wohl störte es ein wenig sein jugendliches Selbstbewußtsein, war
ihm aber zugleich angenehm. Es war das Benehmen des untergeordneten älteren
Staatsangestellten, der auf solche Art den im Range viel höher stehenden,
einer anderen Gesellschaftsklasse angehörenden Richter grüßte. Kömüves
verstand diese Vertraulichkeit, diese ehrfurchtsvoll-väterliche Zärtlichkeit;
er nickte zurückhaltend, aber freundlich, denn der aus dem Bauernstand stammende
Pförtner gehörte ja ebenfalls der großen und weitverzweigten Familie an, deren
Mitglied auch Kömüves war. Unter dem Torbogen blieb der junge Richter stehen und
stellte die Zeiger seiner Armbanduhr nach der Uhr im Treppenhaus. Er dachte an
den Gefängnishof, an die Akten auf seinem Schreibtisch, an diese korrekte und
vertraute Atmosphäre, in der er sich, umgeben von Richtern, Beamten und
Amtsdienern,
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