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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition)
Autoren: T.C. Boyle
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dir aufgetragen hat. Na los, geh schon.«
    Sie begann erst zu husten, als er zur Tür hinaus und im windgepeitschten Zwielicht verschwunden war, und hustend stieg sie die Treppe aus rohem Holz, die ihr wie die Leiter zu einem Baumhaus erschien, hinauf zu den nackten Dielen des Schlafzimmers, das sie mit Will und dem traurigen Himmelbett mit seinen schmutzigen Vorhängen und der Decke teilen würde, die nicht nach ihrem Mann roch, sondern nach Schaf – ausschließlich und penetrant nach Schaf.

DAS SCHLAFZIMMER
    Die Wut und die Verzweiflung, ja, auch die Verzweiflung, gaben ihr die Kraft, die Betten abzuziehen und die Bettvorhänge herunterzureißen und alles in einem Haufen auf den Boden zu werfen, damit Ida sich darum kümmerte. Was dachte er sich eigentlich, wie konnte er je geglaubt haben, sie würde ihre Gesundheit und Kraft in einer eiskalten Bretterbude wie dieser zurückgewinnen, als wäre sie irgendein Milchmädchen in einem ländlichen Idyll? Sie hätten nach Italien fahren und sich von der Sonne wärmen lassen können, bis ihre Lunge wieder gesund war, bis die Kavernen ausgetrocknet waren wie Feigen auf einem Blech, bis sie an Gliedern und Brüsten, an Hüften und Bauch wieder Fleisch angesetzt hatte – oder nach Mexiko. In ein tropisches Klima. In eine Wüste. Irgendwohin, nur nicht auf diese Insel. Seine Selbstsucht hatte sie hierhergebracht, im Grunde ihres Herzens wusste sie das. Sie saß auf der fleckigen Matratze und hustete, bis ihre Kehle wund war, und sosehr sie auch gegen ihre Gefühle ankämpfte, konnte sie doch nicht anders, als ihm die Schuld zu geben. Aber auch sie hatte Schuld. Sie war es gewesen, die ihm ihre letzten Ersparnisse anvertraut hatte, den Rest des Geldes, das James ihr hinterlassen hatte, damit er sich als gleichberechtigter Partner bei Mills einkaufen konnte, denn sie hatte gewusst, dass sie ihn sonst verlieren würde. Er war begeistert, er wollte sich verbessern, er sah seine Gelegenheit und ergriff sie, aber er war auch ihr Mann, er hatte sie einst geliebt, er liebte sie noch immer, auch wenn sie ihm, wie sie sehr wohl wusste, nicht mehr von großem Nutzen war – jedenfalls nicht über das hinaus, was ihr Geld ermöglichte. Dieser Gedanke – und es war nicht das erstemal, dass sie ihn dachte – ließ sie zu einem Nichts zusammenschrumpfen, zu einer leeren Hülle, einem dieser papierdünnen Dinger, wie man sie manchmal an der Borke eines Baums fand, wenn der Falter, der sich darin entwickelt hatte, herausgekrochen und davongeflogen war.
    Sie konnte sie unten hören: schwere Schritte, Kisten, die mit einem dumpfen Rumpeln abgestellt wurden, ein leiser Fluch, das Knallen der Tür. Sie würde nicht hinuntergehen. Sie würde sich nicht von der Stelle rühren. Sie würde gar nichts tun, nur dasitzen und warten, bis Will heraufkam, mit flehendem Blick und Büßergesicht, und ihr alles erklärte, sich um sie bemühte, sich nicht um seine, sondern um ihre Bedürfnisse kümmerte oder sie, und sei es nur für einen Augenblick, in die Arme nahm. Wieder schlug die Tür, Schritte erklangen, schärfer und dünner, als würde jemand mit einem Hammer auf ein Blech schlagen, und dann drangen die Stimmen der Mädchen herauf, in einem hohen Plauderton, der ihr überhaupt keinen Trost spendete. Edith sagte etwas. Ida antwortete. Edith sagte noch etwas. Marantha strengte sich an, etwas zu verstehen, doch der Boden und die Wände verzerrten den Klang der Worte, so dass sie nicht sagen konnte, ob sie sich ebenso verwirrt und enttäuscht fühlten wie sie oder ob sie von der Neuheit dieses Ortes, den Ereignissen des Tages und den Aufgaben, die vor ihnen lagen, in Anspruch genommen waren. Da ging Edith. Das war Ida. Und dann war eine von ihnen in der Küche, man hörte das Klingen von Metall auf Metall. Das musste Ida sein, die sich dort einrichtete.
    Erst da hob sie den Blick und sah sich im Raum um, musterte die mit abblätternder Kalkfarbe gestrichenen Bretter der Wände und der Decke, das Fenster, das hineingeschnitten war wie ein dunkles, dämonisches Auge, den schmucklosen Nachttopf aus Porzellan, der, ein unübersehbarer Hinweis auf seine Funktion, in einer Ecke stand, den wasserfleckigen Kleiderschrank in der anderen Ecke, an dessen Tür ein Spiegel befestigt war, so blind wie eine Bleiplatte. Wieder spürte sie einen Hustenreiz. Sie schnappte pfeifend nach Luft und hielt sie an, dann stemmte sie sich hoch und ging zum Waschtisch. Neben der Schüssel standen ein Wasserkrug und ein
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