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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition)
Autoren: T.C. Boyle
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Gesicht mit warmem Wasser. Dann deckte sie das Loch in der rechten Schläfe mit einer Kompresse ab. Sie ließ ihm die Kleider an, in denen sie ihn gefunden hatten: die Stiefel, die kurze Hose, das weiße Hemd mit den schimmernden Epauletten. Die Mädchen wussten inzwischen, was geschehen war, und wollten sich nicht trösten lassen. Sie bat Jimmie, mit Betsy zurückzubleiben, aber Marianne bestand darauf, mitzukommen nach Harris Point und zuzusehen, wie der Sarg ins Grab hinuntergelassen wurde. Sie ließ sich durch nichts davon abbringen. Der Wind wehte heftig, und sie mussten den Kopf abwenden, um keinen Sand in die Augen zu bekommen. Bob Brooks sprach ein paar Worte und las aus der Bibel vor. Sie warf die erste Schaufelvoll Erde auf den Sarg, dann traten die anderen vor, und dann war es vorbei.
    Es war gegen Ende der nächsten Woche, an einem Tag mit strahlender Sonne und dahinjagenden Wolken, an einem Tag wie den anderen Tagen, jeder so zerfließend und trostlos wie der andere. Sie war im Wohnzimmer, packte für den Umzug aufs Festland und versuchte, nicht allzu lange bei jedem Stück zu verweilen. Es war eine Auslese, sie musste Entscheidungen fällen, aber jeder Gegenstand, den sie in die Hand nahm, führte ihre Gedanken auf Abwege, bis sie nicht mehr wusste, wo sie war und was sie tat und warum sie überhaupt hier war. Sie fühlte sich nicht verraten oder verlassen, sie war nicht erbittert, sondern traurig, nur traurig. Ihre Trauer galt Herbie, ihren Töchtern, ihr selbst. Sie hätte in Manhattan bleiben, sich die Wohnung mit Blick über den East River, auf die sie ein Auge geworfen hatte, einrichten und ihr Leben so führen können, als wäre sie eine Perle, die auf einer Schnur hin und her glitt: zur Arbeit und wieder nach Hause. Sie hätte in Karteikarten geblättert, in der Mittagspause an ihrem Schreibtisch unter dem hohen Fenster ein mitgebrachtes Sandwich gegessen und das Abendessen im Restaurant an der Ecke eingenommen, wo Kerzen auf den Tischen standen und das Tagesmenü mit Kreide an die Tafel über dem Tresen geschrieben war. Sie hätte wieder nach Paris oder Montreux gehen oder zu ihrer Mutter nach Rye zurückkehren können, wo jeder Tag eine Kopie des vorangegangenen war und die einzige Veränderung mit den Jahreszeiten kam. Aber dann hatte Herbert Steever Lester an ihre Tür geklopft, und sie hatte den Sprung gewagt und war auf diese Insel gegangen, die ihr nun nichts mehr bedeutete. Sie war eine Witwe mit zwei Töchtern, die sie ernähren und erziehen und auf das Leben vorbereiten musste.
    Sie hatte ein Feuer in dem Kamin angezündet, den sie und Herbie gebaut hatten, um es behaglicher zu haben. Mit einer Schubkarre hatten sie Ziegelsteine von der Ruine des Waters-Hauses geholt, bis ihnen der Rücken weh getan hatte, sie hatten Mörtel gemischt, das Lot angehalten und jede Lage mit äußerster Akkuratesse und wie für die Ewigkeit gemauert, denn ohne einen Kamin war es kein Zuhause, und ein Zuhause brauchte man zum Leben. Die Lampe auf dem Schreibtisch brannte. Das durch die Fenster fallende Sonnenlicht war hell genug, doch sie hatte sie trotzdem angezündet, ohne weiter nachzudenken. Zu beiden Seiten des Kamins zeigten rechtwinklige Schatten an der Wand, wo die Bilder gehangen hatten, die sie abgenommen und verpackt hatte. Auch die Gewehre waren verschwunden, die ganze Sammlung war zum Festland gebracht worden, um versteigert zu werden, alle Waffen bis auf die Elefantenbüchse, die sie zu ihm in den Sarg gelegt hatte, und die letzte, die tödliche. Die kleine Pistole, das kalte Ding aus Stahl, das sie der leblosen Hand ihres Mannes entwunden hatte, obwohl der Schock ihr fast den Atem geraubt hatte, war auf dem Grund des Ozeans – hinabgeschleudert in einem Aufwallen blinder Wut, die sie durchfuhr wie ein auf eine ausgetrocknete Ebene herabzuckender Blitz.
    Die Sonne schien auf das Dach, und es war eigentlich zu warm für ein Feuer, aber sie brauchte es, um Sachen zu verbrennen. Auch das gehörte zur Auslese: all diese Sachen , und sie konnte nicht einmal die Hälfte mitnehmen. Es war nicht genug Platz auf dem Schlitten und dem Boot der Küstenwache, das in zwei Tagen kommen würde, um sie abzuholen. Und auch nicht in der Wohnung im Zentrum von Santa Barbara, die Bob Brooks für sie gemietet hatte und von deren Wohnzimmerfenster aus man gerade eben noch das Meer sehen konnte.
    Die Mädchen waren am Tag nach der Beerdigung auf das Festland gebracht worden und wohnten bei Freunden, bis sie kam, um
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