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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition)
Autoren: T.C. Boyle
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Ranch, auf der hart gearbeitet wurde. Er war der Boss, und ihm ihre Gedanken zu offenbaren, wäre wie ein Verrat gewesen. »Der Unfall ist schuld«, sagte sie. »Und die Medikamente, die sie ihm gegeben haben. Und dieser Krieg macht ihn so nervös« – sie lachte –, »wie uns alle. Wer könnte ihm das verdenken? Aber es geht ihm mit jedem Tag besser. Und Hans, Hans ist wirklich ein Geschenk des Himmels.« Sie holte Luft und sah ihm in die Augen. »Er braucht nur ein bisschen Zeit, dann ist er wieder ganz der alte, glaub mir.«
    »Herbie ist nicht kleinzukriegen.«
    »Nein«, sagte sie, »ist er nicht.«
    Sein Lächeln war seltsam, eigentlich kaum wahrnehmbar, als hätte er gar nicht lächeln wollen. »Weißt du«, sagte er, noch immer nach vorn gebeugt, noch immer die Ohren des Hundes kraulend, »ich habe mir gedacht, wenn wir im Juni kommen und die Wolle holen, könnte Jimmie ein bisschen hierbleiben, wenn du möchtest. Was meinst du?«
    Und dann, ganz allmählich, beruhigten sich die Dinge. Wenn Herbie auch nicht wieder der alte war und seine Stimmungen so schnell umschlugen, dass sie nie wusste, ob sie mit einem Witz, einem Kuss oder einem langen, durchbohrenden Blick rechnen musste, so war er doch zumindest aufgewacht. Er hatte eine Ranch zu führen, und die Notwendigkeit, sich um alles zu kümmern, was ein solches Unternehmen erforderte, von Reparaturen am Generator und dem Windrad bis hin zur Beschaffung von Fleisch, der Pflege der Pferde und dem Betrieb der Wasserstellen für die Schafe, schien zu ihm in einer Sprache zu sprechen, die sie nicht beherrschte. Jeden Morgen war er vor Tagesanbruch auf und stapfte in seinen Nagelstiefeln durch das Haus, und wenn sie dann mit ihm frühstückte, hatte er bereits den Ofen angezündet, Kaffee gekocht und die Küche gefegt. Dann ging er auf seine Morgenpatrouille und war zuverlässig zum Mittagessen wieder zurück, und das Traggestell, das er für Hans gebaut hatte, war hoch bepackt mit dem Holz, das er unterwegs gesammelt hatte. Nachmittags erledigte er Arbeiten im Haus und nahm sich ein Projekt nach dem anderen vor. Er hatte die Idee, auf dem Dachfirst einen Ausguck zu montieren, damit die Navyjungs diesen Teil der Insel überwachen konnten, und sorgte dafür, dass dieser tagsüber bemannt war (oder vielmehr bejungt, wie er sich ausdrückte, um die beiden zu ärgern). Am Abend machte er noch einen Patrouillenritt, und danach setzte er sich mit den Mädchen ins Wohnzimmer und ließ sich von ihnen Kinderbücher vorlesen. Anschließend hörte er Radio, und dann ging er zu Bett.
    Die erste Juniwoche brachte die Nachricht vom Sieg in der Schlacht bei den Midway-Inseln, und Herbie setzte zu einem Höhenflug an, hüpfte im Wohnzimmer herum und fuchtelte mit den Armen, bis er ganz rot im Gesicht war. »Diesmal haben wir sie voll erwischt!« rief er. »Alliierte vier, Japse null.« Er holte den Whiskey hervor. »Auf Nimitz! Auf die tapferen Jungs von der Yorktown ! Und auf unsere Navyjungs. Reg, Freddie! Auf euch! Und auf unseren Sieg und die bedingslose Kapitulation dieser verdammten gelben Scheißkerle. Weg mit dir, Yamamoto! Weg mit dir, Hirohito! Fahrt zur Hölle, die ganze verdammte Bande!«
    Am nächsten Morgen verschlief sie. Und als sie um halb sieben aufwachte, lag Herbie noch neben ihr im Bett. Vorsichtig stand sie auf, leise, um ihn nicht zu wecken, denn sie dachte, das seien gewiss die Nachwirkungen der gestrigen Feier – er trank ja meist nicht mehr als zwei, drei Gläser Whiskey, und sie hatte ihn noch nie verkatert erlebt, aber da lag er und schlief, und woran sonst sollte es liegen? Sie machte den Mädchen Frühstück, stellte für die Navyjungs, die ebenfalls länger als sonst zu schlafen schienen, etwas auf den Herd und setzte sich dann an den Tisch, um allein zu frühstücken, während Marianne und Betsy ihre Schulsachen zusammensuchten. Als Herbie um Viertel vor acht noch immer nicht erschienen war, ging sie ins Schlafzimmer, um ihn zu wecken – er würde doch seine morgendliche Patrouille, die für ihn zu einer Art fixer Idee geworden war, bestimmt nicht ausfallen lassen wollen.
    Im Zimmer war es dunkel. Es roch nach ihm, nach seinem Schweiß und der einfachen braunen Seife, die er benutzte, und nach der feinen Süße von Hamameliswasser, das er sich nach der Rasur auf die Wangen rieb. Aber er hatte sich nicht rasiert. Er lag noch immer auf dem Rücken im Bett, ganz ruhig, die Arme ausgestreckt, und über den Füßen spannte sich die Decke wie ein
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