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Flitterwochen

Flitterwochen

Titel: Flitterwochen
Autoren: Anne Hertz
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1 . Kapitel

    F rau Samstag, Sie müssen strenger zu der Bande sein. Greifen Sie mal durch! Und zwar schleunigst, sonst landen wir bald alle in Teufels Küche!«
    Ich räuspere mich. »Na ja, ich meine, das sind doch alles noch kleine Kinder, also da finde ich nicht …«
    Weiter komme ich mit meiner Verteidigungsrede nicht. Direktor Schubert schaut mich über den Rand seiner genau genommen randlosen Brille streng an.
    »Bitte? Kleine Kinder? Das sind Verbrecher, jawoll! Einen Überfall gab es jetzt schon, was, bitte, muss denn noch passieren, damit Sie endlich aufwachen?«
    »Äh, ich bin doch schon … was für ein Überfall überhaupt?«
    »Na, auf die Bäckerei gestern! Schon vergessen?« Schubert wird lauter.
    »Also, Überfall trifft es wohl nicht ganz. Die Jungs haben ein paar Wasserbomben ans Schaufenster geworfen, das ist nun wirklich kein …«
    »In den Laden, Frau Samstag, sie haben die Bomben in den Laden geworfen!« Jetzt schreit er mich regelrecht an, und seine Gesichtsfarbe lässt darauf schließen, dass seine Blutdrucktabletten gegen die momentane Gefühlsaufwallung schlicht nicht anarbeiten können. Auweia. Ich hoffe, wir bekommen hier nicht gleich einen medizinischen Notfall. »Und sie haben die Bäckerei auch nicht das erste Mal besucht, sondern waren nach den Schilderungen von Bäckermeister Remper in den vergangenen zwei Wochen schätzungsweise dreiundfünfzig Mal da. Rein rechnerisch können die Knaben also kaum noch in Ihrem Unterricht gewesen sein, Frau Kollegin! Ich habe während meiner Mathestunde in Ihrer Klasse heute Morgen zwanzig Päckchen mit Wasserbomben konfisziert. Zwanzig Stück!«
    In solchen Momenten vermisse ich unseren alten Schulleiter sehr. Der wäre zwar auch nicht begeistert gewesen, hätte den Vorfall aber mit einer gewissen Nonchalance ertragen – und aus der Welt geschafft. Wahrscheinlich hätte er dem Remper in seinem Büro erst einmal einen halben Liter Cognac eingetrichtert, zur Beruhigung. Also, nur im übertragenen Sinne natürlich – denn Alkohol ist in den Diensträumen unserer kleinen, beschaulichen Grundschule logischerweise streng verboten. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass Herr Lehmann zu den Zeiten, in denen Heinz Rühmann noch als Postbote über den Gartenzaun grüßte, immer eine Flasche Cognac und ein Kästchen Zigarren parat gehabt hätte. In der Hinsicht war Herr Lehmann ganz alte Schule – im Gegensatz zu seinen sehr innovativen Problemlösungsansätzen. Und erst recht im Gegensatz zu Schubert, der zwar immer einen auf total progressiv macht, mir jetzt aber eine ganz alte Kamelle andrehen will.
    »Das nächste Mal lassen Sie diese Terroristen einfach zehn Mal die ›Bürgschaft‹ abschreiben. Sie werden sehen – das wirkt Wunder!«
    »Die ›
Bürgschaft‹?
« Ich ziehe meine Augenbrauen so weit hoch, wie es nur geht, und starre ihn an. »Sie wissen aber schon, dass wir hier an einer Grundschule sind, oder?«
    Schubert starrt zurück. »Die Frage scheint mir eher, ob Sie das wissen. Was genau hatten Sie denn vor, um die Lage endlich wieder in den Griff zu bekommen?«
    »Ich wollte, äh, also ich hatte mir überlegt, dass … äh …« Mist. Genau genommen habe ich mir noch gar nichts überlegt. Liegt aber auch daran, dass die Sache mit der Bäckerei Remper gewissermaßen gerade erst passiert ist. Okay, die Jungs waren offensichtlich schon häufiger da, aber die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland schien mir bisher noch nicht bedroht. Bei diesem Gedanken muss ich unwillkürlich lächeln. Mit einem Ruck stößt Schubert seinen Stuhl zurück und springt auf.
    »Frau Samstag! Ich bin fassungslos! Nicht nur, dass Ihnen die ganze Angelegenheit offensichtlich völlig egal ist, nein, Sie finden das auch noch komisch. Ach was – wahrscheinlich sind Sie in Gedanken längst woanders. Und ich weiß auch, wo!« Och nö, jetzt geht das wieder los. »Also wenn Sie keine Lust mehr haben, hier überzeugende pädagogische Arbeit zu leisten, und sich stattdessen in Zukunft nur noch Ihrem Privatleben widmen wollen, dann sagen Sie einfach Bescheid.«
    Jetzt ist es an mir, aufzuspringen. Ich lasse mir hier doch nicht sagen, dass ich meinen Job nicht ernst nehme! Ich
liebe
meine Arbeit! Ich habe nur etwas andere Vorstellungen als Schubert, wie sie zu gestalten ist. Schließlich will ich Kinder erziehen, nicht dressieren! Aber Schubert denkt anscheinend, ich hätte mich geistig schon in meine Flitterwochen verabschiedet. Frechheit!
    »Das
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