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Flitterwochen

Flitterwochen

Titel: Flitterwochen
Autoren: Anne Hertz
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Kolbad.«
    »Kolberg!«
    »Von mir aus auch Kolberg. Aber ohne mich. Und sagen Sie den Bullen gefälligst die Wahrheit!«
    »Ich kann nicht einfach in den Zug steigen und allein dorthin fahren. Das schaffe ich in meinem Alter nicht mehr. Wahrscheinlich denken alle, dass ich das nicht bemerke, aber ich weiß durchaus, dass es Phasen gibt, in denen ich Aussetzer habe.«
    »Stimmt auffallend. Zum Beispiel eben in der Bank.«
    Oma Strelow schüttelt energisch den Kopf.
    »Nein, das meine ich nicht. Die Idee, die ich in der Bank hatte, war brillant. Ich meine die Momente, in denen ich nicht ganz bei mir bin.«
    »Ach, Sie werden tüdelig?« Na, den Verdacht hatte ich ja auch schon.
    Nun wird Oma Strelow tatsächlich ein bisschen rot. Ein ganz zarter Hauch breitet sich über ihre ansonsten blassen Wangen aus. Dann flüstert sie so leise, dass ich sie fast nicht hören kann: »Von mir aus nennen Sie es
tüdelig.
Auch wenn ich dieses Wort verabscheue. Ich nenne es lieber
abwesend.
Jedenfalls kann ich eine so weite Reise nicht mehr allein machen, davor habe ich zu viel Angst.«
    »Ja, sehr traurige Geschichte. Total einleuchtend, dass Sie mich da lieber als Geisel nehmen und dann so tun, als wäre es umgekehrt. Nur
eine
Frage hab ich noch: Wie sieht es denn mit Kindern aus? Haben Sie welche? Denn: Wenn ja, dann sollen
die
gefälligst mit Ihnen Papis Asche verstreuen. ICH MUSS NÄMLICH JETZT NACH HAUSE, UND ZWAR SOFORT !« Mittlerweile schreie ich, Oma Strelow zuckt zusammen und starrt mich aus aufgerissenen Augen an. Dann fängt sie an zu weinen.
    »Aber das ist es ja gerade! Meine Kinder wollen nicht, dass ich verreise. Dann haben sie mich ja nicht mehr unter Kontrolle. Sie wollen mich in ein Heim verfrachten. Und dann verkaufen sie mein Haus und nehmen mir all mein Geld weg. Deswegen war ich heute auch bei der Bank – schließlich stecken die alle unter einer Decke!« Mittlerweile ist ihr Weinen in hemmungsloses Schluchzen übergegangen.
    Nachdenklich betrachte ich sie, wie sie da sitzt, über die Plastiktüte gebeugt, und die gesamte Beute vollheult. Ob sie mit ihrem Verdacht recht hat? Warten ihre herzlosen Kinder tatsächlich auf die erstbeste Gelegenheit, Omi abzukassieren und einzusperren? Oder bildet sie sich das nur ein? Irgendwo habe ich mal gelesen, dass Verfolgungswahn typisch für eine beginnende Demenzerkrankung ist. Ich fische Tempotaschentücher aus der Mittelkonsole und gebe ihr eins. Sie schneuzt sich laut.
    »Bitte, Sie müssen mir helfen, Heinzi in die alte Heimat zu bringen. Ich verspreche Ihnen, dass ich danach alles aufklären werde. Bestimmt!«
    Ich seufze, dann lasse ich den Motor wieder an. »Dazu mal eine ganz praktische Frage: Wo wird denn Heinzi gerade aufbewahrt? Müssten wir nicht eher zum Friedhof als zu Ihnen nach Hause? Und darf man eine Urne einfach so ausbuddeln?«
    Oma schüttelt den Kopf. »Nein, die Haupturne bleibt im Grab. Aber es gibt noch eine kleine Urne mit einem Teil der Asche. Die steht bei mir zu Hause. Das darf man so machen, ist völlig legal. Und diese Urne holen wir jetzt, und dann streuen wir die Asche in die Ostsee.«
    Apropos völlig legal: Wo bin ich da bloß reingeraten? Noch interessanter: Wie komme ich da heil wieder raus? Und zwar, ohne eine langjährige Haftstrafe zu verbüßen?
     
    Fünf Minuten später haben wir endlich das Haus von Frau Strelow erreicht. Wakenitzstraße, Wasserblick, noble Adresse. Ein hübsches weißes Haus, vermutlich Jugendstil, jedenfalls ranken sich links und rechts des Vordaches zarte Blumengirlanden aus Stuck empor. Also, wenn Omis Familie die Bude verkloppt, dann gibt es jedenfalls Zaster, so viel ist schon mal klar. Vielleicht ist ihr Verdacht doch nicht ganz von der Hand zu weisen.
    Sie schließt die Haustür auf, und kurz darauf stehen wir im Flur. Links von uns ziert eine Bronzeskulptur einen Mauervorsprung, rechts hängt ein riesiger Ölschinken, der ein Paar im besten Alter zeigt. Oma und Opa Strelow? Falls es sich tatsächlich um Heinzi handelt, war er jedenfalls mal sehr schneidig.
    »Jan, kommst du mal?«, ruft Oma in das Haus hinein.
    Jan? Von dem war bisher nicht die Rede. Ich dachte, Oma wohnt allein. Ich hoffe nicht, dass ich mich jetzt noch der Diskussion mit den lieblosen Angehörigen stellen muss. Oma Strelow geht den Flur entlang, ich folge ihr.
    »Jan, wo bist du denn?«
    Ich fühle mich sehr, sehr unwohl. Am liebsten würde ich sofort abhauen. Nur die Tatsache, dass ich ohne Omas Aussage momentan richtig dumm
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