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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gab und Whiskey einflößte, einen Schluck nach dem anderen, bis sein Kopf nach hinten sank und seine Augen glasig wurden. Als das Flugzeug da war, war er benommen, aber imstande, aus eigener Kraft hinauszugehen und einzusteigen, und dann, als die Tür geschlossen war und sie und die Mädchen und der Hund zusammengedrängt dastanden – eine Szene, die Goya in Tusche hätte festhalten können –, hob er die rechte Hand und reckte den Daumen. Der Propeller wirbelte, die Tragflächen bebten, die Maschine holperte über die Weide und verschwand im grauen Nebelvorhang.
    Als er zurückkehrte, war er ein anderer Mensch. Man konnte es wirklich nicht anders sagen. Sie redete sich ein, er werde sich schon wieder fangen, es brauche eben Zeit, doch er war wie aus Holz, ohne jede Emotionen, als wäre er nie Herbie gewesen, als hätte jemand in einem makabren Experiment einen anderen in seinen Körper verpflanzt. Er hatte Briefe geschrieben – erst aus dem Cottage Hospital in Santa Barbara und dann aus dem Veteran’s Hospital in Los Angeles, wohin man ihn zur Rehabilitation geschickt hatte –, aber diese Briefe waren eigentlich kaum mehr als kurze Nachrichten und wirkten sprunghaft und zerstreut ( Ich hoffe, es geht Dir gut, den Kindern auch; Die Nächte hier sind dunkel; Wackelpudding, sie geben mir Wackelpudding ). Er schrieb nie, er vermisse sie, er fragte nie, wie sie ohne ihn zurechtkomme, er erwähnte die Ranch mit keinem Wort. Dennoch merkte sie erst, als er aus dem Flugzeug stieg, wie sehr diese Sache ihn mitgenommen hatte.
    Die Mädchen rannten zu ihm, aber er schwang sie nicht durch die Luft, wie er es sonst immer getan hatte, sondern stand nur da und ließ sich von ihnen umarmen, und der Hund, der kläffend und außer sich vor Freude auf ihn zuschoss, hätte ebensogut der eines Fremden sein können, sowenig reagierte er auf ihn. Er breitete die Arme aus, und sie warf sich hinein, aber es fühlte sich falsch an, ganz falsch, und sie spürte dieses fremde Ding in ihm, das in einem unregelmäßigen Rhythmus schlug. Er war dünn. Sie hatten ihm das Haar zu kurz geschnitten, das sah sie sofort. Und sie hatte zwar damit gerechnet, dass er blass sein würde, aber das strahlendweiße Hemd ließ ihn noch blasser erscheinen, als wäre auch seine Haut gebleicht und gebügelt worden. Das Seltsamste aber – das, wohin ihr Blick sofort sprang – war der schwarze Lederhandschuh an seiner linken Hand. Er verlor kein Wort darüber, aber er zog ihn nicht aus, nicht beim Abendessen und nicht, als er zu Bett ging. »Ich bin verstümmelt«, sagte er schließlich. Zusammengesunken saß er auf dem Stuhl in der Ecke des Schlafzimmers, einen Socken in der Hand, den anderen noch am Fuß. »Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen.« In dieser Nacht gingen sie zu Bett, als wären sie Fremde.
    Die nächsten Tage waren eine Qual. Er behauptete, er könne nicht sehen, was auf seinem Teller sei – »Dunkle Flecken, ich sehe bloß dunkle, schwebende Flecken « –, und ständig ging er von einem Zimmer zum anderen, auf der Suche nach diesem oder jenem, einer Nagelfeile, seiner Pfeife, dem Tabak. »Elise«, rief er dann, »wo zum Teufel ist der Tabak? Wo sind meine Hausschuhe? Elise?« Die Navyjungs ignorierte er vollkommen. Wenn sie ihn bei Tisch oder auf dem Hof ansprachen, tat er, als hätte er sie nicht gehört. Er hatte keinerlei Interesse am Radioprogramm, das ihn früher doch so begeistert hatte, und starrte stundenlang ins Feuer. Wenn sie ihn fragte, was denn los sei, sagte er: »Nichts.« Wenn sie sich mitfühlend nach seinen Augenproblemen erkundigte und versuchte, ihnen auf den Grund zu gehen, eine Lösung zu finden, ihn zu beruhigen und aufzumuntern – »Wie wär’s mit einer Brille? Könntest du dir nicht eine Brille verschreiben lassen?« –, wollte er nichts davon hören. »Das ist nicht korrigierbar. Das ist ein degenerativer Schaden. Meine Augen sind kaputt, Elise. Kaputt.«
    Erst gegen Ende der ersten Woche nach seiner Rückkehr ging er in die Scheune, um sich das neue Pferd anzusehen – Hans, einen dreijährigen schwarzen Wallach, den Bob Brooks mit der Vaquero geschickt hatte –, und als er es dann tat, blieb er so lange dort, dass sie ihm schließlich folgte, aus einer plötzlichen Angst heraus, die sie nicht hätte benennen können. Das Scheunentor stand offen. Das gedämpfte Spätnachmittagslicht riss Schneisen in die Schatten, so dass sie die harten Umrisse der Dachbalken und die weicheren Konturen der Heuballen erkennen

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