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Samuel Carver 01 - Target

Samuel Carver 01 - Target

Titel: Samuel Carver 01 - Target
Autoren: Tom Cain
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fühlen, die Süße schmecken wollte.
    Dann wurde er wie vom Ende eines unendlichen langen Korridors gewahr, dass etwas Neues mit ihm passierte. Eine wohltuende Dunkelheit hatte sich herabgesenkt, und er spürte sanfte Hände, warme Hände, die ihm Stirn und Wangen streichelten. Diese Hände waren ganz anders als die in seinem Traum. Sie fühlten sich fester, wirklicher an. Und ihm fiel auf, dass sich sein Mund wieder bewegte. Er überlegte, ob er sprechen konnte.
    »Wer bist du?«, krächzte er. »Wer ist da?«

82
    Andrej Dimitrow wurde von fernen Schüssen aus der wodkaumnebelten Vergessenheit gerissen. Er richtete sich auf der dünnen Rosshaarmatratze auf und rieb sich den schmerzenden Kopf. Er hätte schwören können, dass irgendwo in der Ferne ein Schuss gefallen war. Doch jetzt herrschte wieder die Stille der frühen Morgenstunden.
    Plötzlich durchzuckte ihn ein Gedanke, der in seinen Eingeweiden Achterbahn fuhr. Wie spät war es? Er tastete nach seiner Uhr und versuchte, das beleuchtete Zifferblatt zu begreifen. Zehn nach vier. Um vier hätte er Wassili ablösen sollen. Wenn der jetzt sauer war und ihn bei Kursk verpfiffen hatte, war er ein toter Mann.
    Dimitrow taumelte aus dem Bett und kramte am Boden seine Sachen zusammen. Er gab sich Mühe, Titow nicht aufzuwecken, der im Nachbarbett schnarchte und furzte. Seine Mac lag in dem Spind neben dem Bett. Er holte sie hervor und fügte den grausamen Begleiterscheinungen seines Katers einen weiteren Schmerz hinzu, indem er sich den großen Zeh am Nachttisch stieß. Dimitrow stöhnte. Er wurde allmählich zu alt für solche Besäufnisse.
    Er schlich an Kursks Schlafzimmer vorbei und ins Erdgeschoss, ohne erwischt zu werden. Mit trüben Augen und schwerem Kopf stieß er die Kellertür auf und eilte die Treppe hinab.
    Es roch komisch; das fiel ihm als Erstes auf. Der beißende Gestank nach einem Schuss und ein kränklicher Blutgeruch hingen in der Luft. Dimitrow war schlagartig hellwach, sein Kater kuriert. Er schlich sich bis an den Kellergang. »Rutschew!«, rief er. »Wassili!«
    Keine Antwort.
    Dimitrow ging zum Technikraum. Die Tür war nur angelehnt. Er trat sie auf, die Mac feuerbereit an der Schulter. Dann ließ er sie wieder sinken, als er die blutige Schweinerei sah, wo sein Kamerad mal das Gesicht gehabt hatte. Rutschew war weiß Gott ein sadistischer Bastard gewesen und seine Freundschaft mit Igor Titow war jeden Tag perverser geworden. Doch sie hatten zusammen in Afghanistan, in Tschetschenien und in den Moskauer Straßen gekämpft. Wer hätte gedacht, dass er eines Tages in einem Schweizer Chalet weggepustet werden würde?
    Aber wer hatte ihn erschossen? Dimitrow dachte angestrengt nach, versuchte, sich zu erinnern, ob er irgendwelche Spuren eines Einbruchs gesehen hatte. Er könnte schwören, nein. Aber das konnte niemand aus dem Haus getan haben. Der Boss war oben und fickte diese eingebildete Nutte. Titow war noch weggetreten, und Kursk hatte keinen Grund, Rutschew anzugreifen. Es hatte während des Abends keinen Streit, geschweige denn Rangeleien gegeben.
    Blieb nur noch der Engländer. Der war aber nicht in dem Zustand, dass er jemanden umbringen konnte. Außerdem saß er angeschnallt auf einem Stuhl in einem verriegelten Raum.
    Oder etwa nicht?
    Andrej Dimitrow sah auf den Monitor. Er blickte noch einmal genau hin, und das Blut stockte ihm in den Adern.
    Der Stuhl war leer.

83
    Aliks steckte weinend die Pistole in ihre Schultertasche und rannte durch den eisig weißen Raum auf die höllische Szene in der Mitte zu. Durch den Tränenschleier hindurch konnte sie kaum sehen, als sie Carver das Klebeband von den Lidern zupfte und ihm sacht die Augen schloss. Sie nahm den Kopfhörer weg und machte sich daran, die Ledergurte zu lösen.
    Sie fing beim Kopf an, wo er am meisten litt, und arbeitete sich nach unten durch. Der Riemen, mit dem sie ihn geknebelt hatten, hatte ihn übel zugerichtet. Als sie ihn abnahm, kam ein Klumpen geronnenes Blut heraus, in dem als bösartige Dekoration ein einzelner Zahn steckte. Aliks musste einen Moment lang wegsehen, um den Brechreiz zu unterdrücken, ehe sie sich wieder ihrer Aufgabe zuwandte.
    Der Elektroschockgürtel hatte ein Vorhängeschloss, aber die Batterien ließen sich entfernen. Bis sie mit allem fertig war, kniete sie zu Carvers Füßen. Sie küsste ihn auf die blutig gescheuerte Haut, als erwidere sie seinen Kuss, der so viele Stunden zurücklag. Es kam ihr vor wie eine Buße.
    Carver reagierte nicht.
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