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Samuel Carver 01 - Target

Samuel Carver 01 - Target

Titel: Samuel Carver 01 - Target
Autoren: Tom Cain
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werden, praktisch wertlos macht.
    Freilich sind Informationen nicht immer der Zweck der Folter. Manchmal wird sie auch nur als Bestrafung oder zum Vergnügen des Folterers eingesetzt. Dabei ergibt sich ein weiteres Problem: Wenn ein Mensch über ein bestimmtes Maß hinaus gequält wird, bricht er zusammen und wird entweder bewusstlos, oder er stirbt. Es bedarf einiger Fähigkeiten, ja Kunstfertigkeit, um das richtige Maß an Schmerzen und Verletzungen zu erzielen: Sie dürfen weder zu milde noch zu stark sein, sonst nützen sie nichts.
    Das Gleiche gilt für den gequälten Verstand. Viele Foltermethoden basieren eher auf psychischen, als auf physischen Reizen. Das Opfer wird erniedrigt, bis es sich nicht mehr wie ein Mensch fühlt. Man lässt es nicht schlafen, überflutet es mit Lärm und Licht oder man versagt ihm im Gegenteil alle äußerlichen Reize, sodass es nichts sieht, hört, riecht und fühlt. Auch hierbei muss der Folterer das richtige Maß treffen. Er will sein Opfer desorientieren, demoralisieren, ihm die Hoffnung nehmen und das Zeitgefühl rauben, damit sich Sekunden wie Minuten anfühlen und Tage wie im Fluge vergehen. Aber er will keine schwere Psychose auslösen. Nicht so bald jedenfalls.
    Ein Verstand, der seiner Umgebung keinen Sinn mehr abgewinnen oder die erhaltenen Informationen zu keiner verständlichen Bedeutung zusammenfügen kann, wird seine Bemühungen irgendwann einstellen und sich in sich selbst zurückziehen. Halluzinationen treten an die Stelle der Wirklichkeit. Das Gedächtnis versagt. Der Mensch beginnt, seine Persönlichkeit zu verlieren.
    Samuel Carver war schon erschöpft und hungrig gewesen, als er in Gstaad angekommen war. Seitdem hatten ihn die fortgesetzten Traumata an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Er leistete keinen Widerstand, als sie ihn zurück in die Zelle brachten und wieder auf dem Folterstuhl festschnallten. Als Titow ihm nur aus Vergnügen am Quälen einen letzten Stromstoß verpasste, hatten Carvers Zuckungen etwas seltsam Lebloses, als wäre er sich der Schmerzen nicht mehr bewusst.
    Carver nahm nicht wahr, wie ihm die lockeren Zähne aus dem Kiefer gedrückt wurden, weil er mit dem Kopf an dem Lederriemen zerrte. Als der Kopfhörer und der Leuchtkasten eingeschaltet wurden, wehrte sein Gehirn die Reizüberflutung ab, und Carver driftete in einen Traumzustand ab. Seine geblendeten, ausgetrockneten Augen waren weit geöffnet, doch sie sahen Bilder seines Unterbewusstseins; längst vergessene Leute und Orte fügten sich zu einer neuen Welt zusammen.
    Da waren zwei blonde Frauen – jedenfalls glaubte er, es seien zwei, obwohl sie manchmal zu einer verschmolzen und in jedem Moment ein bisschen anders aussahen. Sie schienen ihn zu mögen. Er spürte sie dicht bei sich. Doch wenn er sie anfassen wollte, entzogen sie sich der Berührung, und er konnte auch nicht verstehen, was sie sagten, obwohl sie ein freundliches Gesicht machten und ihn anlächelten, als wären sie froh, ihn zu sehen. Er wollte mit ihnen reden, ihnen sagen, dass auch er froh war. Doch er konnte nicht sprechen. Wie sehr er sich auch bemühte, er brachte kein Wort heraus; sein Mund wollte sich einfach nicht bewegen.
    Carver wanderte durch die Gänge seiner alten Schule und gleich hinüber in die Offiziersmesse in Poole. Seine Freunde waren alle da. Er sah einen alten Mann – wie hieß er noch gleich? Carver konnte ihn sehr gut leiden, doch dann wurde der alte Mann wütend auf ihn, und Carver hatte plötzlich große Angst, genau wie damals in der ersten Klasse des Internats, als der Lehrer sauer auf ihn gewesen war und er weit weg von zu Hause niemanden hatte, der ihn getröstet hätte.
    Und er stand in einem Tunnel, während ein Auto mit blendenden Scheinwerfern auf ihn zukam. Ihm brannten die Augen, als stünde er im Feuer, und er sehnte sich nach einem sicheren, dunklen Platz. Er machte innerlich kehrt und fand ihn. Er trieb im Wasser, nur dass es kein gewöhnliches Wasser war, denn es war köstlich und süß. Dann plötzlich wurde er von dem warmen sicheren Platz weg ins Kalte gezogen. Er wehrte sich, trat um sich, doch das nützte nichts, er wurde ins Freie gezerrt.
    Carver schrie und kreischte, und einen Moment lang war alles wieder gut. Er lag in zwei warmen Armen, und sein Kopf wurde gegen etwas wunderbar Zartes gedrückt, und er schmeckte wieder diese Süße. Doch auch das hörte wieder auf, denn andere Hände griffen nach ihm und trugen ihn weg, sodass er weinte, weil er diese Zartheit
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