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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
Autoren: Matthias Politycki
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entsprechend wortkarg, heute hingegen redselig wie kein zweiter. Schon saß Kaufner mit ihm und dem Jungen in einer Nische, es war schummrig wie immer, dampfte und pladderte wie immer. Trotzdem war alles anders als sonst. Und das nur der Gesellschaft eines Tadschikenjungen wegen, der sich gerade mal halbherzig mit seinem Handtuch bedeckt. Hatten die anderen nicht zu ihnen gestarrt, gegrinst gar? Ob Odina vielleicht mit ihnen unter einer Decke steckte?
    Zumindest mit Talib, im Rückblick war sich Kaufner jetzt fast sicher. Talib war’s ja auch gewesen, der permanent für den Jungen geredet hatte. Gut, als ehemaliger Ringer hatte er hier sowieso das Sagen, fast jeden hatte er bereits in der Mangel gehabt, zehntausend Som pro Massage, danach war man froh, überlebt zu haben. Einem wie Talib würde keiner widersprechen. In Kaufners Erinnerung nahm er die Züge des Kirgisen an oder vielmehr umgekehrt, schließlich hatten beide die gleichen schwarzen Schlitzaugen. Seltsamerweise war Kaufner damals nur die Peinlichkeit der Szene klar gewesen, nicht im entferntesten die Durchtriebenheit, mit der sich Talib darauf beschränkte, die Schönheit der umliegenden Gebirge zu rühmen und beiläufig einzustreuen, daß man als Fremder selbstredend einen erfahrenen Bergführer brauche, um nicht an diesem oder jenem berühmten Felsen vorbeizulaufen. Mit wachsender Unlust erinnerte er sich, wie ihm Talib, immer mal wieder sein nasses Handtuch auf den Betonsockel klatschend, die Vorzüge des Jungen gerühmt. Und auch geradewegs die Summe genannt hatte, die für einen ganzen Sommer in Odinas Begleitung zu zahlen war – woher wollte er die wissen, wenn er derartige Vermittlungsgespräche nicht öfter geführt hatte? Das Bakschisch für ihn selber kam dann noch obendrauf, und an Feilschen war bei ihm nicht zu denken.
    Hatte der eine oder andre der Männer nicht verstohlen gelacht? Schon im Judenviertel von Samarkand hatte sich Kaufner verraten, als er sich mit aller Diskretion nach einem erkundigt, der mit ihm in die Berge gehen könne; und obendrein zum Gespött gemacht, als ihm einer gefunden, unter der nackten Glühlampe einer Nebennische, am Männerbadetag im Januar.
    Nur merkwürdig, daß ihm darüber erst nach einem Dreivierteljahr ein Licht aufging.
    »Er wird dir alles zeigen«, hatte Talib mit einem Funkeln in den Augen versprochen, das Kaufner am liebsten gar nicht gesehen hätte. Ein abgekartetes Spiel, warum sonst wäre Odina, den Kaufner zuvor kein einziges Mal hier gesehen, überhaupt aufgetaucht? Es reichte offenbar aus, einen Eseltreiber zu suchen, schon wußte jeder Bescheid.
    Erst im Rückblick kam Kaufner jetzt auf die Idee, Talib könne für irgendwen arbeiten, vielleicht gar für die Deutschländer oder irgendeine der Freien Festen, die sich noch hielten. Immerhin war der Westen, zumindest auf dem Papier, mit Usbekistan verbündet. Möglicherweise arbeiteten sie also für dieselbe Sache, war Talib sogar daran interessiert, daß Kaufner das Grab finden würde? Wie sonst hätte er reden können, als ob er bestens im Bilde war über Kaufners Absichten, nämlich ohne sie etwa direkt an- oder gar auszusprechen? Als hätte man von Hamburg aus gleich auch Masseur und Eseltreiber vor Ort für Kaufner angeworben.
    Dann holte Talib die Wodkaflasche, es wurde ernst. Kaufner hatte ihn öfter beobachtet, wenn er seine Nebengeschäfte betrieb (wiewohl man das, was er verhökerte, ansonsten nie zu Gesicht bekam), von einem glänzenden Schweißfilm bedeckt, mit seinem nassen Handtuch durch die Luft schnalzend oder auf den Bauch seines Gesprächspartners. Wer weiß, in wessen Dienste er den Jungen schon verschachert hatte und zu welchem Zweck; Kaufner saß da und hörte so gleichmütig zu, wie er’s vermochte. Auch der Junge saß vor allem da, zeigte mit keiner Miene, was er etwa von Talib dachte.
    Von seiner Sorte gebe’s viele, pries ihn der Masseur, sie kämen von weit her, weil sie in ihren Tälern keine Arbeit mehr fänden. Doch keiner sei unter ihnen, der Odina gleichkomme. »Er wird seinen Mund halten und im Herbst verschwinden, wenn er dich sicher wieder hier abgeliefert hat, bei mir.«
    Talib beugte sich vertraulich näher, man roch, daß er dem Wässerchen bereits kräftig zugesprochen hatte, sogar sein Schweiß stank nach Alkohol: »Und im übrigen nimmt er kein Opium und ist auch nicht infiziert.«
    Talibs dröhnendes Gelächter, in diesen unterirdischen Gewölben nicht ohne Effekt, der Speck auf seinen Bauchmuskeln
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