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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
Autoren: Matthias Politycki
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zitterte.
    »Warum sollte ich ausgerechnet dich nehmen?« hatte Kaufner eine einzige Frage direkt an den Jungen gestellt. Und ehe sich Talib dazwischendrängen konnte, hatte der geantwortet:
    Weil er vom Stamme der Wakhis sei, den Wächtern der Seidenstraße seit Jahrhunderten. »Was immer wir tun, Herr, unser Rücken bleibt dabei gerade.«
    Schon wollte ihm Talib obenhin das Wort abschneiden: Nun ja, Odinas Stamm habe selbst für Bewohner des Pamirs einen extrem strengen Ehrenkodex … Aber der Junge ließ sich nicht beirren und, weiterhin direkt an Kaufner gewandt, fuhr ganz ruhig fort:
    »Wenn dich einer von uns in die Berge führt, bist du sein Gast. Stößt dir was zu, glaub mir, muß er’s sühnen, indem er sich das Gleiche zufügt.«
    Eine bessere Lebensversicherung konnte es im Gebirge nicht geben. Womit der Handel geschlossen war.

    Und dann hat er sich ja tatsächlich als ein erfahrner Eseltreiber erwiesen, der Junge. Als Berggänger sowieso. Nein, so einer arbeitet nicht gleichzeitig für die Gegenseite. Ein Bergführer kann kein Schlitzohr sein.
    Oder doch?
    Wenn er seine Familie anders nicht ernähren kann?
    Für die Chinesen zumindest arbeitet er nicht. Die haßt er, die haben schon die Bergwerke in seinem Land unter Kontrolle, die Tunnel, die Hauptstraßen, die haben alles bestens vorbereitet. Für den Kalifen? Für den
Wahren Weg,
das
Fundament
oder sonst irgendwelche Kämpfer des Heiligen Kampfes? Aber der Gottesstaat interessiert die Tadschiken ja nicht. Die wollen am liebsten für jedes Tal ’nen eignen Fürsten. Für die Panslawische Allianz? Egal, der Junge weiß nicht, woher du kommst, er weiß nicht, wohin du gehst. Nie hat er nach deinen wahren Absichten gefragt.
    Mehrfach mußte sich Kaufner ermahnen, sich nicht länger in die Tasche zu lügen. Schießlich war’s seit ein paar Stunden heraus, daß Odina gar nicht hätte fragen müssen, daß er auch so gewußt, welches Grab Kaufner suchte, und also direkt zum
Tal, in dem nichts ist
mit ihm hätte aufbrechen können. Aufbrechen müssen. Kaufner hatte zu handeln. Der Kirgise mochte ihn gedemütigt haben – im Moment war er keine unmittelbare Bedrohung mehr, Kaufner verbot sich jeden weiteren Gedanken an ihn, vorerst. Odina hingegen, er mochte ihn mit seinen Worten gerettet haben – war vielleicht eine noch größere Bedrohung als Januzak.
    Und nur auf Sichtweite entfernt. Der Weg war recht einfach und blieb es. Rechter Hand erhob sich der Bergrücken, an dem sie entlanggingen, linker Hand kam immer mehr der Ebene zum Vorschein, in die sie morgen hinabsteigen würden: Usbekistan. Dicke Wolken gingen tief darüber hin, es blitzte da und dort; dicht daneben war der Himmel hellblau, das Sonnenlicht fiel in breiten Streifen herab. Wäre man besserer Stimmung gewesen, man hätte es als malerisch empfinden können.
    Wie immer, wenn Kaufner am Lagerplatz eintraf, den der Junge für die Nacht bestimmt, war der Esel bereits entladen und hatte sich, nach Futter suchend, davongemacht. Der Junge war dabei, Kaufners Zelt aufzubauen; als nächstes würde er das Abendessen kochen. Erst wenn alles erledigt war, was zu seinen Pflichten gehörte, würde er neben dem Feuer die Satteldecke und darüber seinen zerschlissenen Schlafsack ausbreiten. Doch während Kaufner normalerweise erst einmal sein Gepäck ins Zelt schaffte und die Dinge für den nächsten Tag richtete, kam er heute abend direkt auf Odina zu und baute sich vor ihm auf:
    »Warum hast du mich so lang in die Irre geführt?«
    »Weil ich wollte, daß du weiterlebst«, kam die Antwort überraschend schnell: »Wäre ich gleich mit dir hierhergekommen –« Der Junge hatte offensichtlich nicht den Anflug eines schlechten Gewissens. Oder er spielte seine Rolle sehr gut: »Herr, in diesem Gebirge gibt es keine Wanderer. Wer hier unterwegs ist, der ist Schmuggler oder einer vom Heiligen Kampf oder – einer von euch.« »Aber auf keinen Fall ein Anfänger wie du! Die würden ja sofort –«
    »Willst du mich beleidigen? Ich bin doch kein Anfänger!« Kaufner verspürte große Lust, Odina eine Ohrfeige zu versetzen, besann sich allerdings: »Welches Zeichen meinst du eigentlich, an dem sich die Fortgeschrittnen erkennen oder wie ihr sie nennt?«
    Odina verzurrte in aller Ruhe das Zelt, schlug einen Hering ein. Sortierte Äste und Zweige, die er am letzten Rastplatz gesammelt und in seinem Rucksack verstaut, arrangierte sie, die kleinsten davon zu einem Häufchen zusammenschiebend, über dem sich die
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