Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
Autoren: Matthias Politycki
Vom Netzwerk:
nicht ging, hier oben konnte jeden Tag der Winter einbrechen, sie hatten keine Zeit zu verlieren. Wenn nur der Berg nicht so steil gewesen wäre, an dem sie sich hinaufarbeiten mußten, immer mit einem Bein überm Abgrund, tief unten das graue Band des Baches. Bloß nicht jetzt noch in die Tiefe sehen. Schau auf die Staubfahne, wie sie übern Gegenhang zieht. Schau auf den
Kobrafelsen
, den ihr gerade passiert habt. Der Junge hat recht, er ähnelt tatsächlich einem Kobrakopf. Und jetzt schaff dir den Staub aus dem Schlund.
    Als Kaufner sich anschickte, seinen Hals freizuräuspern, sah er Odina und den Esel, zu völliger Reglosigkeit erstarrt, dem Hineinlauschen in die Bergwelt ergeben. Kaufner vergaß das Kratzen im Hals. Doch zu vernehmen war nur die anhaltende Wut des Wassers, wie es sich die Klamm hinabstürzte. Kaufner kniff die Augen zusammen, plötzlich wurde ihm alles wichtig in dieser eintönig öden Felslandschaft, und sah auf die gegenüberliegende Wand, in der, vereinzelt von verdorrten Stauden markiert, der Pfad weiterlief, bald an Höhe gewinnend.
Das Tal, in dem nichts ist

    Bis Odina plötzlich ein kaum vernehmbares »Der Kirgise!« aufzischen ließ, mit der halb erhobenen Hand jedweden Mucks Kaufners untersagend, sich nach endlosen Sekunden mit einem kaum gehauchten »Allah …« aus der Anspannung lösend. Im nächsten Moment hatte er das Halfter des Esels gepackt, zerrte ihn weg von der Brücke. Schob drückte zog ihn den Pfad zurück und dann steil hangaufwärts, hinter den
Kobrafelsen
, wo er ihn sogleich zu Boden warf, »Nechtarat chot-chot«. Kaufner, der kaum hinterhergekommen und in der Eile des abduckenden Zusammenrückens dann noch fast unters Gepäck geraten, konnte ihm mit Mühe »Der Kirgise?« zuflüstern: »Meinst du den Januzak, von dem du öfter –?«
    Odina, nun blitzte selbst ihm einmal die Angst aus den Augen. Er bedeutete Kaufner, nein, befahl ihm mit einem Blick zu schweigen. Kaufner hatte Zeit, die Graffiti zu betrachten, die in arabischer, kyrillischer, lateinischer Schrift in die umliegenden Felsen eingemeißelt waren. Bis es auch er endlich hören konnte, da pfiff sich einer ein Liedchen, während er irgendwo auf der anderen Seite der Schlucht den Weg bergab kam.
    Aber der war doch noch weit weg? Warum beflüsterte Odina denn jetzt schon den Esel, »Chche!«, drückte ihn erneut zu Boden? Kaufner hockte, lauschte, starrte. Verfluchte Schlucht! So schmal, daß für ein vernünftiges Versteck einfach kein Platz war. Mochte man auch nur mehr fünfzig Kilometer von Samarkand entfernt sein, so würde doch das, was gleich passieren mußte, nicht in tausend Jahren dort unten bekannt werden.
    Verfluchter Berg! Bereits Tage zuvor war von den Ausschreitungen zu hören gewesen. Wäre das Serafschantal nicht über Nacht von den Tadschiken abgeriegelt worden, Odina und er hätten sich den Weg über die grüne Grenze sparen können. Angeblich hatten die Usbeken angefangen, in Wirklichkeit waren wahrscheinlich ein paar betrunkene Tadschiken auf ihren Pick-ups ins nächstgelegene Usbekendorf gefahren und hatten auf jeden gefeuert, dessen Augen ihnen nicht rund genug aussahen. Verdammter Arierwahn! Ausgerechnet hier, in diesem vergeßnen Weltwinkel, wurde’s nach ein paar Wodkas stets stramm völkisch, und als Deutscher war man zwangsläufig mit von der Partie, von jedem dahergelaufenen Bauern gleich als Bruder vereinnahmt – wenn Kaufner das geahnt hätte, als er den Auftrag angenommen! Junge arbeitslose Tadschiken, denen der Reichtum, der angebliche Reichtum usbekischer Händler seit je ein Dorn im Auge war, und ihretwegen mußte er jetzt … Aber egal, die Einzelheiten würde man drüben erfahren.
    Immerhin hatte der Junge einen Ausweg gewußt, quer übers Turkestangebirge und durch eines der wenigen Schlupflöcher zwischen beiden Staaten – »Hundert Prozent sicher, Herr, die Schmuggler benützen ihn auch« –, deren Grenzverlauf ansonsten mit Bodenminen gesichert war. Immerhin hatten sie das Mausoleum, von dem er seit Tagen gesprochen, gestern abend erreicht; bevor sie heute aufgebrochen waren, hatte Kaufner noch einen Blick in die Krypta geworfen, während Odina draußen sein Taschentuch zerrissen und eine der Hälften in die Zweige des Wunschbaums geknüpft hatte, wo bereits allerhand bunte Fetzen im Wind –
    Daß er sich nur so vergessen hatte können! Kaufner fuhr auf, lugte hinterm Felsen hervor. Und hätte sich beinah verschluckt vor Schreck. So nah schon? Wie kommt der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher