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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
Autoren: Matthias Politycki
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Haaren stramm fixierend, besah sich die Rechte, entdeckte darin beträchtliche Reste des Schleimbatzens, äußerte seine Empörung durch ein Bellen, das Kaufner mühelos verstand, schon führte er dessen Kopf erneut nach unten, ganz langsam diesmal, damit Kaufner Gelegenheit zum Nachdenken bekam. Und erst nach einer Sekunde Pause, die er ihm in unmittelbarer Nähe der Handfläche gönnte, ließ er ihn wieder in der Rechten verschwinden, drehte seinen Kopf ein paarmal nach links und nach rechts, ließ ihm Zeit.
    Kaufner durfte froh sein, daß ihn der Kirgise nicht solcherart ersticken wollte; als er ihn diesmal aus seiner Spucke entlassen und nach oben gezogen hatte, preßte Kaufner zwar Augen und Lippen zusammen, hatte den Schleim aber artig geschluckt. Januzak grunzte auf, ließ sofort los.
    In tiefer Schande stand Kaufner, Augen und Mund weiterhin geschlossen. Stand in sprachloses Entsetzen gekleidet da, ansonsten völlig nackt, so fühlte es sich an. Hörte, wie der Kirgise einige abschließende Ermahnungen an Odina richtete und sich davonmachte; erst als ihn der Junge sanft rüttelte, schlug er die Augen auf. Sah Januzak hinterher, der pfeifend seiner Wege ging, als wär’ nichts gewesen, gar nichts. Mit jedem Schritt seines Peinigers verwandelte sich die Demütigung in tiefen – noch tieferen – tiefsten Haß. Den Rest des Tages würde Kaufner damit beschäftigt sein, sich den Mund zu spülen, die Lippen zu wischen. Obwohl er natürlich wußte, daß er sich von seinem Makel so nicht würde reinwaschen können.
    Kaufner, hartgesotten als Paßgänger der Gebirgsjäger, nicht zimperlich dann auch als Botengänger der Freien Festen: hier und heute, vier-, fünftausend Kilometer und eineinhalb Jahre von seinen Auftraggebern entfernt, hatte er zum ersten Mal derb einstecken müssen. Hatte es ihm sein Führungsoffizier nicht vorausgesagt? Kaufner, da unten werden Sie begreifen, warum wir trotzdem untergehen. Wenn Sie Ihre Grenzen nicht überschreiten, sind Sie der Falsche für uns, dann kommen Sie nie wieder runter von diesen Bergen. Oh, Kaufner war der Richtige, sie würden noch Augen machen. Erst recht, wenn er dann nebenbei auch – Kaufners Entschluß stand fest, ehe er ihn klaren Kopfes denken konnte –, erst recht, wenn er den Kirgisen so lange durch die Berge gejagt haben würde, bis er Rache an ihm genommen und sich von seinem Makel reingewaschen hatte.
    Im Moment, da er sich nun endlich regte und kräftig ausspuckte, stand er freilich nach wie vor am
Kobrafelsen
, Odina schüttelte ihn:
    »Du warst bereits tot, Herr, hundert Prozent tot! Er hat dich nur aus Gnade noch mal ins Leben entkommen lassen.«
    »Tot?« würgte Kaufner, wollte sich übergeben, spuckte aber bloß ein weiteres Mal aus.
    »Er hat dich verschont, du warst ihm den Griff nicht wert, mit dem er dich hätte erdrosseln können. Du trägst das Mal noch nicht.«
    »Welches Mal?«
    »Das Mal derer …« Odina tat so, als suchte er nach passenden Vokabeln, offensichtlich wollte er darüber nichts Genaueres sagen: »Januzak weiß, daß du dasselbe suchst wie er. Aber er hat dir auch angesehen, daß du nichts –, daß du ein Anfänger bist.«
    »Er sucht dasselbe?« schluckte Kaufner den Rest an Ekel herunter: »Woher weißt du überhaupt, was wir, ich meine, was ich, was er –«
    »Jeder weiß es, Herr. Ihr sucht alle dasselbe.«

    Und wieder die Hängebrücke, diesmal scheute der Esel nicht. Kaufner hingegen, seit einigen Jahren nicht mehr ganz schwindelfrei, nun auch noch zwischen Zorn, Abscheu, Argwohn hin und her gerissen, auf seine Weise schon, anstelle der Bretter sah er nur Zwischenräume. Schließlich wollte er’s auf allen vieren versuchen, doch da kam der Junge zurück und reichte ihm die Hand, zog ihn hinüber, die Welt schwankte beträchtlich.
    Bis zum Einbruch der Dämmerung ging Odina mit dem Esel vor ihm her, wie immer weit schneller, als es für Kaufner zuträglich, dessen aktive Teilnahme an Kletter-, Durchschlage- und sonstigen Geländeübungen Jahrzehnte hinter ihm lag. Er begann, seinen Haß Schritt für Schritt auf Odina zu richten, ja, bald schien’s ihm, daß der Junge an allem, was vorgefallen, die Schuld trug. Hatte er ihn nicht permanent in die Irre geführt, wo’s anscheinend erst hier, im Turkestanrücken, richtig zur Sache ging? Oder warum sonst wäre der Kirgise überhaupt aufgetaucht, einer der berühmtesten, der berüchtigtsten unter den Paßgängern, so einer wußte doch am ehesten, wo zu finden war, was …
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