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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
Autoren: Matthias Politycki
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denn so schnell den Berg runter? Gut, daß der Abgrund noch zwischen uns ist. Schad, daß er sich so vermummt hat. Bis auf den Sehschlitz in helle Tücher eingewickelt, genau so, wie er immer beschrieben wird. Und hüpft über die Felsen! Als wär’ er bei sich zu Hause.
    Alle im Gebirge hatten diesen wiegenden Gang, alle, die hier aufgewachsen oder im Lauf der Jahre gelernt hatten, die Kraft der Berge Schritt für Schritt zu ihrer eigenen zu machen. Bereits am Gang konnte man erkennen, ob man sich auf eine gefährliche Begegnung einzurichten hatte oder ob ein Anfänger unterwegs war, der viel Staub aufwirbelte und mit sich selbst und seinem Durst beschäftigt war. Der Kirgise gehörte zu denen, die über den Fels gingen, als wär’s ein flauschiger Teppich, schon allein dadurch bestätigte er die Gerüchte, die über ihn kursierten.
    Kaufner hatte einiges über die gehört, die durchs Gebirge streiften wie er, auch vom Gesetz der Berge, das keine Indizienbeweise kennt. Der Kirgise, angeblich war er Albino und mußte sich vor der Sonne verhüllen, angeblich war sein Gesicht entstellt und er mußte sich deshalb verhüllen, angeblich führte er noch nicht mal einen Kampfnamen, angeblich war er keiner von denen, die aus Überzeugung hierherkamen, sondern Söldner der Russen, der Chinesen, des Kalifen, angeblich war er unverwundbar, verrückt, schnitt Zeichen ins Gesicht seiner Opfer, trank ihr Blut, solange es noch warm war, angeblich direkt aus der geöffneten Ader, Januzak, der Kirgise.
    Schon hatte er, immerfort pfeifend, die Hängebrücke passiert, jetzt war er wirklich nur noch wenige Meter vom
Kobrafelsen
entfernt. Odina drückte dem Esel mit beiden Händen die Nüstern zu. Kaufner hörte ganz von selber auf zu atmen.
    Dann war der Kirgise vorbei. Auch von hinten eine überraschend schmale, ja, schmächtige Person. Beinah zierlich, man hätte ihn für eine Frau halten können. Odina lockerte seinen Griff, Kaufner atmete etwas übertrieben tief ein. Spürte prompt wieder den Staub in der Luftröhre, der Reiz wurde stärker, je heftiger er ihn unterdrückte, wurde unerträglich. Er mühte sich, wenigstens so viel wie möglich nach innen zu husten, eine Art Implosion. Aber laut genug, daß der Kirgise, er war ja gerade erst zehn oder zwanzig Schritt entfernt, auf der Stelle umkehrte und vor ihnen aufwuchs.
    Odina rappelte sich empor, preßte die Handflächen aneinander, neigte den Kopf, fast berührte er mit seinem Kinn die Fingerspitzen. Dabei hatte der Kirgise nicht mal eine Waffe in der Hand.
    Allerdings eine unangenehm hohe Stimme, als er das Schweigen schließlich mit ein paar scharfen Silben zerschnitt. Odina setzte, allein vom Ton seiner Ausführungen zu urteilen, setzte zu einer Rechtfertigung an, die sich wortreich um Wohlklang mühte; doch weshalb mußte er sich überhaupt entschuldigen? Eine Weile ging es zwischen den beiden hin und her, vielleicht auf Kirgisisch, dann trat Januzak auf Kaufner zu, der sich die ganze Zeit über im Abseits gehalten hatte. Trat unangenehm nah heran und fixierte ihn von unten. Von seinem Gesicht sah man kaum mehr als die zwei schwarzen Augäpfel, beständig ruckend, mit der Zeit verfestigten sie sich zu einem leblosen Blick aus schmal geschlitzten Augen, so vollkommen leer wie der eines Menschen, der allzuviel gesehen hatte, um an einem Kaufner noch Bedeutendes entdecken zu können. Kaufner schlug den Blick zu Boden.
    Der Kirgise, so schmal er auch war, stand breitbeinig bebend. Nachdem er den Fremden, der ihn um Haupteslänge überragte und aussah wie einer, der für den Westen hier herumstreunte, nachdem er ihn lang genug fixiert hatte, fauchte er etwas in seiner Sprache, man verstand ihn nicht und verstand ihn allzu gut. Dann holte er sich geräuschvoll den Schleim aus dem Hals, aus der Nase, kaute ihn zurecht, zog sich den Mundschutz ruckartig nach unten – ein dünner weißer Spitzbart, zum Zopf geflochten, wurde kurz sichtbar – und spuckte in die rechte Hand. Präsentierte den Schleim, ein glasiges Glitzern, im offnen Handteller wie ein kostbar Gut, schnaubte Kaufner einige weitere Worte zu, in klarem Befehlston nun, und als der nicht begriff, fuhr er ihm mit der Linken in den Haarschopf und riß ihn mit erschreckender Kraft nach unten, in seine Hand hinein, wo es für Kaufner dunkel wurde, naß und ekelhaft.
    Jedenfalls im Rückblick. Momentan war er dermaßen verdattert, daß er sich willenlos auch wieder emporziehen ließ. Der Kirgise, sein Opfer weiterhin an den
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