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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
Autoren: Matthias Politycki
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sofort hell und klar. Trotzdem wollte sich noch nicht mal ein Murmeltier zeigen. Sollte es auf einen Nahkampf in der Gräberstraße hinauslaufen? Kaufner blieb stehen und rief laut nach den Jungs, nach dem Sultan, nach Januzak, verhöhnte die
Faust Gottes
, verlachte sie. Immerhin klang das Echo einigermaßen schaurig, das ihm von den Wänden zurückgeworfen wurde. Dann sang er ihnen allen sein Lied vor: Finden und zerstören. Finden und zerstören. Mehr nicht. Mehr nicht.
    Niemand rührte sich, nichts rührte sich, es war zum Verrücktwerden. Einen Moment erwog Kaufner, sich zunächst Richtung Hain zu wenden, um nicht zu verdursten. Aber nur einen Moment. Danach, flüsterte er sich sorgsam zu, die Zunge flatterte ihm gegen den Gaumen: danach. Schau dir das Objekt an und bring es zu Ende.

    Der Friedhof war eine Schädelstätte auch im engeren Sinne: Was vom Grat aus wie Abfallsäcke ausgesehen hatte, entpuppte sich im Zielfernrohr nun als merkwürdig unregelmäßig angefüllte … Ja, was denn? Man hatte Leinentücher oder Decken darübergebreitet, das Ganze mit groben Seilen verschnürt und in den allermeisten Fällen mit Totenköpfen gekrönt. Weil die Säcke meist einer gegen den anderen oder irgendeine Wand gelehnt und weil obendrein zahlreiche Löcher hineingehackt waren, konnte man sich ausmalen, daß tatsächlich die dazugehörigen Körper darinnenhockten. Auch sonst sah man Schädel herumliegen, manche noch mit Haarschopf, oder zu kleinen Pyramiden angeordnet, man sah Schienbeinknochen, die paarweise gegen Mauerreste gelehnt waren. Eine Art Mahnwache oder Trophäensammlung oder … egal.
    Kaufner war nicht der erste, der die geheime Totenstadt rund um Timurs Grab gefunden, so viel stand fest. Worauf es aber einzig ankam, waren die Trampelpfade, die durch all das hindurch zu den schwarzen Mausoleen führten. Wohlan! Bevor Kaufner die letzten Meter des Treppenweges hinabstieg, suchte er ein weiteres Mal die umgebenden Hänge nach irgendwelchen Anhaltspunkten ab, die er ins Visier hätte nehmen können. Über ihm kreisten sie, die Vögel, rundum hockten sie, die Vögel, sie kannten sich hier aus und verfolgten jede seiner Bewegungen. Eher zufällig vernahm er vom Fuß des
Leeren Berges
ein Gekrächz, entdeckte dort einen hellen Punkt. Und ging sofort in Deckung.
    Wo kam der denn plötzlich her? Er mußte den Weg um den Berg herum genommen haben. Und so schnell! Schon wenige Augenblicke später sah man ihn deutlicher, zur Gänze in seine Tücher gehüllt, wie man ihn kannte, klein, schmal, grazil fast. Hätte man nicht gewußt, wer sich unter der Vermummung verbarg, man hätte ihn für eine Frau halten können. Kaufner riß sich das Gewehr von der Schulter, lud durch, bebte dem Augenblick der Rache entgegen. Im Zielfernrohr ein wiegendes Hin und Her, federnden Schrittes kam es näher. Nun hatte es die Ausläufer der Stadt erreicht und verschwand hinter der ersten Ruine. Kaufners Hände zitterten, er mußte das Gewehr absetzen.
    Es ist soweit, hätte er gern geflüstert, wenn die Zunge noch vom Gaumen zu lösen gewesen wäre, nicht mal mehr husten konnte er. Gleich werd’ ich dir den Himmel zusammenfalten, dachte er und wischte sich den Schweiß mit Shochis Tuch von der Stirn. Erneut tauchte die Gestalt auf, zerzitterte unter Kaufners Blicken zu … schnell preßte er die Augenlider zusammen. Schob sich den Schaft des G 3 so fest in die Schulter, bis er damit zusammengewachsen war, dann riß er die Augen auf. Schon tauchte die Gestalt auch wieder mit klarer Kontur auf, kleiner, als er sie freilich in Erinnerung hatte, zierlicher. Eine schwankend schwebende Tuchsäule, berührte sie kaum den Boden, sie hatte es eilig. Und wuchs direkt in Kaufners Fadenkreuz hinein, als ob sie’s ihm leicht machen wollte. Kaufner atmete tief ein, tief aus, beim nächsten oder übernächsten Ausatmen würde er den Zeigefinger krümmen, mehr nicht, mehr nicht. Es gab überhaupt keinen Grund danebenzuschießen.
    Im Fadenkreuz alles bereits so groß, daß man die Lagen der verschiedenen Tücher erkannte und im Sehschlitz die Augen, im späten Licht des Nachmittags leuchteten sie intensiv blau. Moment mal, waren sie nicht schwarz? Ruhig, Kaufner, ruhig. Und eins nach dem andern. Das kannst du gleich in Ruhe nachsehen gehen, bloß jetzt nicht länger zögern. Kaufner zitterte kein bißchen, als er noch einmal ganz tief Atem holte. Überm
Leeren Berg
kreisten die Adler. Aber das taten sie immer, das hatte nichts zu bedeuten.

Die
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