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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
Autoren: Matthias Politycki
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es nicht. Selbst zurück ging es nicht mehr. Auf Hilfe zu hoffen, verbot sich. Er war vom Sultan zum Abschuß freigegeben, wer sollte sich aufmachen, ihn zu retten? Ein Schutzengel?
    Als er mit seinem Leben abgeschlossen hatte, registrierte er plötzlich, wie sich eine dunkle Wolke rund um den See erhob. Eine Zeitlang stand sie über der Senke. Sowie sie sich wieder aufgelöst hatte, sah man den hellen Fleck, der den Fliegenschwarm aufgescheucht. Alle im Gebirge hatten diesen wiegenden Gang, alle. Derart von Kopf bis Fuß vermummt ging indes nur einer. Wo kam der denn so schnell her? Auch übern Sumpf ging er, als ob es ein flauschiger Teppich wär’, wahrscheinlich pfiff er sich was dabei. Fast hatte er bereits die Weggabelung am Treppenabsatz erreicht, verschwand, eine schwankend schwebende Tuchsäule, wurde erneut sichtbar, dann endgültig von einem Überhang verdeckt.
    Jetzt oder nie. Ehe’s sich Kaufner versah, hatte er sich hochgestemmt aus seiner Ausweglosigkeit, hangelte er sich ganz an die schwarze Felsplatte heran, die Krähen flatterten empört davon. Schon stand er aufrecht, hörte, wie ihm das Blut durch die Schläfen rauschte. Ich will es schaffen, ich muß es schaffen, ich werde es schaffen, dachte er, selbst wenn ich es nicht schaffe, werde ich es geschafft haben. Dann setzte er sich in Bewegung, freihändig und laut im Rhythmus der Schritte das Lob Gottes anstimmend. Der hocherhabene – Wirker der Ursachen – gepriesen seien – seine neunundneunzig – Schönen Namen! Damit war er drüben, Kaufner, der fromme Erkunder des schwarzen Felsens, Kaufner, der Heilige, in dem sich Gottes Liebe eingefunden und ihm die Schönheit der Schöpfung offenbart hatte.
    Der Rest war einfach, jeder Griff ging wie in Trance. Als Kaufner zwanzig Meter weiter oben und wieder auf der Treppe stand, war sein Körper so hohl und leer, daß er sich setzen mußte. Nun gehörte er endgültig zu denen, die über den entscheidenden Punkt hinausgegangen waren. Noch immer prasselten ihm unerhört schöne Gedanken von irgendwoher zu, wahrscheinlich stand er nach wie vor im innigen Verkehr mit der Welt des Verborgenen. Alles ist Gott, jedweder Lufthauch, auch du selber bist es, begreif’s! Der wahre Heilige weiß gar nicht, wie hoch er über den Menschen steht.
    Nach ein paar Minuten ebbte die Ekstase ab, die Läuterung blieb. Der einfachste Weg ist der richtige, merk dir das. Sobald du kompliziert wirst, bist du verloren. Man kann erst dann nicht mehr, wenn man nicht mehr kann. Solang man noch kann, kann man noch.
    Auch die Krähen hatten sich wieder beruhigt und andernorts niedergelassen. Aber die Sonne stand tief. Bald würde die Dämmerung einsetzen, kurz und knapp, mit einem leuchtenden Saum im Westen. Schon übernahm sie in der Nähe da und dort die Gewalt über Risse und Einkerbungen im Fels, in einer halben Stunde würde die Nacht aus allen Falten der Hänge auf einmal hervorkommen. Selbst ein Januzak würde den schwarzen Felsen dann nicht mehr passieren können. Es galt, die verbleibende Zeit zu nützen und einen Ort zu suchen, an dem man ihm in Ruhe auflauern konnte.
    In einer Wegkehre fand Kaufner eine Ruine, von der aus man einen weiten Blick ins Tal und auf die Treppe hatte, vor allem den gesamten Weg bestreichen konnte, der zu ihr heraufführte. An manchen Stellen war das Gemäuer fast hüfthoch erhalten; Kaufner überprüfte, wo er den besten Blick auf die Serpentine hatte, aus der Januzak auftauchen mußte. Probeweise legte er das Gewehr auf die Mauer und betrachtete alles im Zielfernrohr. Man konnte beide Ellbogen wunderbar aufstützen, die Waffe lag in jeder Position ruhig, ein Fehlschluß war ausgeschlossen.
    Nachdem er sein geschwollenes Knie mit Schlangenfett eingerieben hatte, legte er sich in seinem Schlafsack auf die Lauer. So unerträglich heiß es tagsüber gewesen, so kalt wurde es jetzt. Kaufners Stirn war naß und blieb naß, in seinem Knie pochte es, in seinem Körper kreiste das Fieber. Wenn er in die Dunkelheit hinaufblickte, funkelte ihm kein einziger Stern. Der Mond ging als rote Scheibe über den Himmel, im Zielfernrohr erkannte man seine blaugrauen Flecken. Ob er wachte oder kurz einnickte und träumte, die ganze Nacht lang sah Kaufner den Kirgisen, wie er aus der Biegung der Serpentine hervorkam. Sah, wie er, wiegenden Ganges, direkt auf den Mittelpunkt des Fadenkreuzes zuhielt, Kaufner war ganz trunken von diesem Anblick.

    Noch vor Anbruch der Morgendämmerung erwachte er in einer
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