Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
Autoren: Matthias Politycki
Vom Netzwerk:
stellen, und einschlafen sollst du erst recht nicht. Geh endlich los und schau nach, was auf der anderen Seite des
Leeren Berges
ist.
    Nachdem er den Treppenweg fast bis ins Tal hinab durchs Zielfernrohr abgesucht hatte, verließ Kaufner die Geborgenheit seines Verstecks. Der Wolfszahn wollte Blut schmecken, gewiß. Aber vor allem wollte Operation 911 endlich ausgeführt werden, das ging vor. Egal, welche Grabbeigaben er finden würde, er würde sie zerstören. Falls ihm dabei irgendwer in den Weg geraten wollte, sei’s der Kirgise, sei’s der eine oder andre von den Jungs, sei’s sonstwer, er würde sich von ihm nicht lange aufhalten lassen. Kaufner ging mit Bedacht, allzuviel Kraft hatte er nicht mehr, er mußte damit haushalten. Schritt für Schritt kam er dabei wieder zur Besinnung. Nach wie vor schmerzten die Sehnen, pochte das Knie, flimmerte es vor seinen Augen. Doch war es lediglich die Anstrengung, die ihm den Schweiß auf die Stirn trieb, nicht mehr das Fieber. Bei jeder Pause, in der ihm das nasse Hemd trocknete im heißen Wind, bildete sich ein neuer weißer Schweißrand im Stoff, es war vom Salz verkrustet wie die Ufer des
Stinkenden Sees
.
    Und noch immer hatte er keinen Bach gequert, an dem er seine Wasserflaschen hätte neu befüllen können. Irgendwann war er oben. Und war es doch nicht. Das, was er für das Ende der Treppe und dahinter den Gipfel gehalten, war nur das Ende der Treppe und dahinter die Schulter des Gipfelmassivs. Was von Nazardods Hütte aus wie eine runde Kuppe ausgesehen, hatte sich unmerklich zu einem scharf gegliederten Relief entfaltet, bis zur Spitze ging es noch ein Stück weiter. Allerdings war der Anstieg flacher, man konnte ein Lied dabei singen.
    Auf dem Gipfel dann eine Schädelpyramide. Kaufner blieb in respektvoller Entfernung stehen, preßte die Augen fest zusammen und fühlte den guten Druck der Riemen. Als er die Augen aufriß, war es eine Pyramide aus schwarzen Felsbrocken. Vor ihm her zog eine feine Staubfahne, hatte er sich verraten? Die letzten Meter legte er kriechend zurück, schob sich neben der Gipfelpyramide so weit nach vorne, daß er auf die andere Seite des
Leeren Berges
sehen konnte. Noch hatte er den Kopf nicht ganz aus der Deckung genommen, schon fielen die Schüsse.

    Eine gehörige Weile blieb Kaufner liegen und lauschte. Immer wieder knallte es, mal lauter, mal leiser, dazu kamen die Echos. Dazwischen Gekrächz, rätschende oder heiser keckernde Rufe, scharfes Gickern, sogar Zwitschern. Meist mehrere Schüsse kurz hintereinander, mal klang es nach Maschinenpistole, mal nach Sturmgewehr, das man auf Feuerstoß gestellt hatte. Vor allem hörte es nicht auf. War es vielleicht doch nur der Wind, wie er gegen den Berg schlug? Zwölf Uhr mittags vorbei, Kaufner wagte sich aus der Deckung. Kaum daß er noch zuckte, wenn es knallte. Bald lag er bequem, den Kopf aufgestützt, und beäugte, was sich auf dieser Seite des
Leeren Berges
auftat.
    Fiel die
Kirgisenkette
zum
Stinkenden See
hin als steile Wand ab, so schwang sie nach Osten deutlich sanfter aus oder eigentlich im Bogen herum. Ein gestaffeltes Panorama trübgrau verkarsteter Formationen schloß sich an, von fern leuchteten die
Drei Wesire
. Ohne Baum oder Busch rechter Hand die bucklige Welt der Hochebene, wie man sie kannte, Kaufner vermeinte sogar, ein Stück der
Seidenstraße
zu erkennen. Irgendwo im Süden mußte das Hauptquartier des Sultans liegen. Wäre er nicht halb am Verdursten und vom Wunsch beseelt gewesen, sich seiner Aufgabe so schnell wie möglich zu entledigen, er hätte die Freude dessen empfunden, der nach langen Irrwegen zum ersten Mal einen Blick auf den Ort seiner Bestimmung wirft.
    Der Grat, auf dessen äußerstem Gipfel er lag, umschloß als stacheliger Rand zu Dreiviertel einen kleinen Kessel. Linker Hand, nach Norden, war der Kessel offen, am Fuß des
Leeren Berges
schien ein Saumpfad herauszuführen, wahrscheinlich der direkte Weg nach Samarkand, den Nazardod erwähnt. Ansonsten brach der Kessel auf seiner gesamten Nordseite abrupt ab ins Bodenlose, anstelle des umschließenden Trichters führte eine durchgehende Kante vom West- zum Osthang, so daß die gesamte Anlage wie ein natürliches Amphitheater aussah. Sämtliche Ränge aus schwarzem Gestein, bis auf halbe Höhe mit Ruinen versehen. In der Talsohle ein verschachteltes Häuser- und Gassengewirr, jedenfalls was das Muster der verbliebenen Grundmauern betraf. Dort, wo im Amphitheater die Bühne gewesen wäre, ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher