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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
Autoren: Matthias Politycki
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er auch vier-, fünftausend Kilometer und zweieinhalb Jahre von seinen Auftraggebern entfernt, so würden sie doch das, was hier gleich passieren würde, noch in ihrem entlegensten Versteck mitbekommen.
    Du bist über den schwarzen Felsen getanzt, du hast mit den Engeln und Propheten gesprochen, du wirst jetzt diesen Hang hinuntertollen, als ginge es dort unten direkt ins Paradies. Die ersten hundert Meter bis zur Palastruine mußten so schnell wie möglich überwunden werden, nirgendwo gab es Deckung. Das Sturmgewehr in der Rechten, lauerte Kaufner ein letztes Mal in den Kessel hinab. Alles, was nach dem schwarzen Felsen gekommen war und weiterhin kommen würde, war geschenkte Zeit. Wohlan!
    Noch hatte er sich nicht ganz aus der Deckung geschoben, schon fielen die Schüsse. Er aber fuhr mit Gepolter den schwarzen Hang hinunter, rutschte aus, fiel, rappelte sich auf, sprang treppab, knickte um, schlug kopfüber böse die Stufen hinab, blieb einen Moment liegen, raffte sich erneut auf, hinkte, rutschte, stolperte, rettete sich durch den Torbogen und in die Palastruine hinein. Die letzten Meter hatte er derart laut gesungen und die Herrlichkeit des Herrn gepriesen, daß er das Knallen der Schüsse nicht mehr gehört, die Schmerzen im Knie, im Kopf, in der Schulter nicht mehr verspürt, das Aufflattern der Vögel aus dem Talkessel nicht mitbekommen hatte.
    Nun kamen die Schmerzen alle zu ihm zurück, sich in Erleuchtungen wandelnd und schöne Gedanken. Mit der verbliebenen Hälfte von Shochis Taschentuch wischte er sich das Blut von der Stirn. Was mit seiner Schulter passiert war, wollte er gar nicht wissen. Zwischen den Salven war’s so still, daß man wieder das Zwitschern hörte – herrlich, dem Wunderbaren der Welt so nahe zu sein. Mochten ihn die Jungs auch aus allen Rohren unter Feuer nehmen, sie würde es niemals widerlegen können. Warum sah man denn noch immer keinen einzigen von ihnen? Nur an den Staubfahnen erkannte man, wo sie sich gerade aufhielten. Wenn man dann doch einmal da – oder dort – etwas aufblitzen sah und das Gewehr hochriß, war da – wie dort – plötzlich nichts mehr. Manchmal verstellten sie sich und riefen mit Odinas Stimme nach ihm. Oder mit derjenigen des Kirgisen. Und wenn sie sich über ihn lustig machen wollten, lachten sie wie Timur, klar und hart. So feige waren sie.
    Im leeren Geviert der Palastruine lagen nicht nur einzelne Granitblöcke herum, sondern haufenweise auch gebrannte Ziegel. Ein Geröllfeld eigener Art, aus dem mancherorts Mauern und Kellergewölbe ragten. Trampelpfade kreuz und quer, alte Feuerstellen, verrostete Konservendosen, Plastikfetzen, aber nach wie vor kein einziger Mensch. Das war nicht irgendeine Ruine, so viel stand fest, das war … egal. Kaufner legte das Ohr an einen der herumliegenden Granitblöcke, lauschte hinein und hinab, doch der Berg wollte nicht sprechen. Also wischte er sich das Blut von den Händen und wurde wieder nüchtern und kalt. Eine Sache konnte nicht untergehen, solange ein einziger daran glaubte; selbst wenn alles, was er getan, am Ende verkehrt gewesen sein sollte, so war die Idee, für die er es getan, immer die richtige gewesen. Ebendarum hatte ihn Gott mit seiner Liebe auch gestern so heftig heimgesucht und zum Heiligen erkoren, warum sonst? Wenn nur die Fliegen nicht so lästig gewesen wären, sie wollten unbedingt von Kaufners Blut trinken. Wenn er selbst nur nicht derart Durst gehabt hätte, vielleicht flimmerte es ihm deshalb so vor den Augen. Oder wollten die Felsen durchsichtig werden, wollte sich der Berg in seinem Innersten offenbaren?
    Den weiteren Weg hinab ging er gemessenen Schrittes, in aller Ruhe von Ruine zu Ruine. Ununterbrochen knallten ihm die Jungs die Kugeln um den Kopf, der ganze Kessel knatterte, aber kein einziger Schuß traf ihn, wahrscheinlich war er unverwundbar. Sobald die Jungs eine Pause machten, um nachzuladen, kommentierten aufgeregt die Vögel, »Tetetet«, »Kak-kak«, »Gik-gik-gik«, »Gjak-gjak«, »Gegegeg« … Es zischte und fauchte, ratterte, piepte, schluchzte und gluckste; der Trichter verstärkte und ergänzte mit Nach- und Widerhall, es war großartig.
    Schon war Kaufner an die zwanzig – an die zehn Meter überm Kesselgrund, er war nicht mehr aufzuhalten. Die Sonne eine weiße Scheibe, manchmal schnurrte sie auf einen gleißenden Punkt zusammen, der Punkt blitzte auf und verglühte. Dann war es dunkel. Sobald man die Augen fest zusammenpreßte und wieder aufriß, wurde es aber
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