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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
Autoren: Matthias Politycki
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Tuchs auf die linke Schulter herabzipfelte.

    Bei den ersten Schritten bergab hatte Kaufner noch mißtrauisch in sein Knie hineingefühlt, doch das Stechen blieb aus. Alles ging wie von selbst, sein Wolfszahn wollte Blut schmecken. Wenn es jemanden gegeben hätte, der ihm beim Abstieg von Nazardods Berg in die Quere geraten wäre, er hätte sich vor ihm bekreuzigt oder versteckt. Kaufner trug das Mal, dessen war er sich nach dieser Nacht sicher. Anders hätte er den Traum gar nicht überlebt. Er ging verhaltenen Schrittes, um nicht wahnsinnig zu werden.
    Dabei war er durchaus freundlich zu den Dingen, geradezu leutselig. Im Gehen schlenzte er Steine und kleine Felsbrocken vom Weg, indem er mit dem Hacken direkt danebensetzte und beim Abdrücken, ohne innezuhalten, dem Stein einen Schubs nach links oder rechts gab – Wegpflege der Schäfer, wie er’s von Odina gelernt hatte. Selbst die Kuhfladen am Wegesrand hätte er gern im Vorbeigehen mit einem Wanderstab gewendet, wie es sich gehörte.
    Aber auch so war es richtig und gut. Nichts haßte er mehr, am allerwenigsten die Berge. Von fern verführerisch runde Flanken und Kuppen, beim Näherkommen schroff und abweisend, sie wollten erobert werden. Wie schön es war, dies verfluchte Gebirg, schamlos nackt und notwendig, ohne jede Gefälligkeit. Kaufner nahm den
Leeren Berg
ins Visier und lächelte ihm zu.
    Schon während des Abstiegs in die Senke hatte er sich einer grenzenlosen Gedankenlosigkeit anheimgegeben. Kaufner hatte genug gedacht, er hatte sich entschieden, dabei würde er bleiben. Wäre nicht bei jedem Schritt der Schmerz ins Knie zurückgekehrt, er hätte Lust gehabt, zu singen oder zumindest zu summen.
    Zwei Stunden später war er so weit abgestiegen, daß ihm der See grüngelb entgegenschimmerte und die Luft darüber in verschiedenen Farben schillerte. Die
Kirgisenkette
dahinter dampfte unter der Sonne, floß auf ihn zu oder von ihm weg, Kaufner war so benommen von der Hitze und dem Dröhnen im Kopf, daß ihm wiederholt schummerig schwarz vor Augen wurde. Dann preßte er die Lider fest aufeinander und fühlte den guten Druck der Trageriemen. Riß er die Augen wieder auf, blendete ihn die Welt mit allem, was sie zu bieten hatte, lockte ihn voran. In der Senke selbst wurde es schnell sumpfig, der See war nichts weiter als ein Tümpel, von stechendem Geruch und einem verkrusteten Salzrand umgeben. Geh auf den Steinen, wo immer du kannst. Wenn du durch Wiese gehen mußt, tritt nicht in die Mulden, da hat sich im Gras das Wasser versteckt.
    Mit einem Mal verwandelte sich die Stille in ein gewaltig anschwellendes Summen, Kaufner blieb auf der Stelle stehen. Erst nach zwei, drei Sekunden sah man Tausende und Abertausende winziger Fliegen, die er offensichtlich aufgeschreckt hatte, im Nu war er völlig davon bedeckt. Nun rannte er, bis er See und Sumpf hinter sich gelassen. Noch immer mußte er sich zahlreicher Fliegen erwehren, das Summen jedoch verebbte, der Schwarm ließ sich wieder rund um die Ufer nieder. Der Weg, den Kaufner bei seiner Flucht eingeschlagen, hatte ihn bereits in die richtige Richtung geführt: vor ihm der
Leere Berg
und, tatsächlich, eine Treppe, die in steilen Serpentinen hinaufführte, über eine der Bergrippen sich windend.
    Der Weg seinerseits ging als gut markierter Saumpfad an der Treppe vorbei und weiter am Fuß des Berges entlang, sicher mündete er in den Weg, den man direkt von Samarkand nehmen konnte. Wie einfach du es hättest haben können! Wie schnell du hierher hättest kommen können, wenn du im Frühjahr davon gewußt hättest! Und wenn du dich nicht vom Militär hättest abschrecken lassen, das die Grenze und gewiß auch jenen Weg abgeriegelt hatte. Wenn du kein Anfänger mehr gewesen wärst. Immerhin, jetzt bist du keiner mehr, jetzt gehst du wie ein Tier oder ein Einheimischer, jetzt trägst du das Mal. Und vielleicht nimmst du diesen Weg ja
danach
, vielleicht ist es dein Rückweg ins normale Leben?
    Daran durfte er freilich noch nicht denken. Die Treppe nämlich, die er als nächstes zu nehmen hatte,
sein
Weg zum Objekt … Was heute morgen staubgrau und -gelb geleuchtet, nun war es eine dunkle Felswand, unverhohlen feindlich. Kaufner wischte sich mit seinem halben Taschentuch die Stirn, preßte jeden der Goldbären anschließend sorgfältig aus. Das rechte Knie pochte; Kopf, Hals, Brust, Knöchel pochten; schweißgebadet lag Kaufner im Schatten und stärkte sich für den Anstieg. Linksrechts der Treppe sah man
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